Der Feind heißt jetzt nicht mehr nur Putin, sondern auch Puschkin

Die Ukraine hat keine Zeit mehr für Zensur, sondern verbietet die Einfuhr sämtlicher russischen Druckerzeugnisse, ob russlandfreundlich oder nicht.

Ein Mann rettet sich aus einem zerstörten Gebäude in Kiew. Er hat andere Sorgen, als Bücher zu lesen.
Ein Mann rettet sich aus einem zerstörten Gebäude in Kiew. Er hat andere Sorgen, als Bücher zu lesen.AP

Die Ukraine verbietet die Einfuhr von „Verlagsprodukten aus dem Gebiet des Aggressor-Landes“. Also dürfen Bücher, Broschüren, Landkarten aus Russland nicht mehr in Buchhandlungen oder durch irgendwelche Grenzkontrollen gelangen. Damit solle Russlands kultureller Einfluss auf die ukrainische Bevölkerung unterbunden werden. Die am Montagnachmittag in Kiew beschlossene Verfügung des für Medien zuständigen Staatskomitees tickert seit Dienstag durch die Nachrichtenkanäle. Es ist ein widersprüchliches Signal.

Vor zwei Wochen warnte die deutsche Sektion der Schriftstellervereinigung PEN vor dem Boykott von Büchern russischer Autorinnen und Autoren hierzulande. Wenn wir uns zu solchen Pauschalisierungen hinreißen ließen, habe der Wahnsinn gesiegt, hätten Vernunft und Menschlichkeit verloren, hieß es in deren Erklärung. Der PEN-Präsident Deniz Yücel sagte: „Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin, Tolstoi oder Achmatowa. Der PEN steht an der Seite aller Menschen in allen Ländern, die in Frieden, Freiheit und Würde leben wollen.“

Nun sind es aber nicht Berliner Buchhändler, die ihre Schaufenster umdekorieren, die Entscheidung traf ein überfallenes Land. Sollte man Verständnis für dessen Misstrauen gegenüber russischer Literatur haben? Die meisten in der Ukraine lebenden Menschen sind mindestens zweisprachig, wenn sie nicht sogar besser Russisch als Ukrainisch sprechen. Noch 2021 importierte die Ukraine laut dpa 32 Millionen Bücher aus Russland. Rund 120 einzelne Titel waren bereits verboten, etwa weil sie die Existenz der Ukraine infrage stellen. Der Einfuhrstopp für Russland verherrlichende Titel, erlassen 2015, gilt zum Beispiel für Schriften des Nationalbolschewisten Eduard Limonow oder des rechtsextremen Theoretikers Alexander Dugin.

Jetzt wird nicht mehr geprüft, nimmt sich niemand mehr die Zeit für Zensur. Die Ukraine verbietet also Achmatowa und Puschkin mit, sperrt auch putinkritische russische Autoren der Gegenwart aus wie Viktor Jerofejew, Sergej Lebedew und Dmitry Glukhovsky. Aber vielleicht soll dies auch ein Signal an sie sein, sich zu wehren. Glukhovsky beklagte gerade in einem Artikel für den österreichischen Standard, dass seine Landsleute viel zu ruhig blieben: „Ja, wir wissen jetzt, wie man schweigt, sich wegdreht, sich duckt und seine Gedanken für sich behält.“