„Lucio Silla“ in der Komischen Oper Berlin: Mozart, einmal ganz unsentimental
Fünf Mozart-Opern zählen zum Kernbestand des Musiktheater-Repertoires. „Idomeneo“ und „La Clemenza di Tito“ versuchen die Dramaturgen der Opernhäuser seit Jahrzehnten für dieses Kernrepertoire zu gewinnen – daneben gibt es noch 15 Stücke, die es nie schaffen werden. Die Komische Oper jedoch, die unter Barry Kosky zum zweiten Mal einen „Mozart-Mai“ programmiert, stellt auch zum zweiten Mal eines dieser chancenlosen Frühwerke in konzertanter Aufführung vor: „Lucio Silla“.
Mit 16 Jahren hat Mozart diese Oper geschrieben – und erstaunlich ist, dass sie thematisch durchaus den gewichtigeren Werken Mozarts präludiert: Auch im „Lucio Silla“ geht es um das Hinterfragen und damit das Brechen jener absoluten Macht, das in der Französischen Revolution wenige Jahre später zur historischen Tat wurde.
Lucio Silla ist ein römischer Diktator, der aus Liebe zu Giunia deren Verlobten Cecilio ins Gefängnis wirft. Nachdem er freikommt, beschließt Cecilio, den Diktator zu töten. Das Attentat misslingt, Silla wirft Cecilio und Giunia in den Kerker – ist dann aber von deren Liebe zueinander so gerührt, dass er sie begnadigt. Der Diktator, der menschlich handelt, wird vom Volk bejubelt – ist er dann eigentlich noch ein Diktator oder geradezu demokratisch legitimiert?
Musikalisch zeigt „Lucio Silla“ Mozarts souveräne Beherrschung des italienischen Opernstils. Die konventionelle Verpflichtung zum Dur unterläuft Mozart durch besonders originelle Accompagnato-Rezitative in Moll. Trotz der weitgehend geläufigen Affekt-Klischees des Heldischen, Liebenden, Tyrannischen, Rasenden oder Klagenden zeichnet sich Mozarts Musik durch ihr hohes, niemals schematisches Formbewusstsein aus.
Die Kapellmeisterin der Komischen Oper, Kristiina Poska, läuft als Mozart-Interpretin dem Chefdirigenten Henrik Nánási mit Leichtigkeit den Rang ab. War dessen „Don Giovanni“ eine reichlich unscharfe Angelegenheit, so liegt Poska vor allem an Schärfe. Mit Naturhörnern und -trompeten etabliert sie einen geschärften Klang; die Tempi sind zackig, die Akzente unmissverständlich – zuweilen fehlt es an differenzierter Metrik, an einer klaren Schwer-leicht-Verteilung im Großtakt. Aber zweifellos reizt dieser Mozart in seiner unsentimentalen Kantigkeit zum Zuhören.
Für Ausdruck ist eine respektable Sängerriege mit Hauskräften zuständig – die indisponierte Mirka Wagner liefert als Cecilios Freund Cinna zwar eher verwaschene Koloraturen ab, Julia Giebel indes verwandelt das eher halbherzig komponierte Porträt der schüchternen Schwester Sillas in ein überzeugendes Charakterbild. Karolina Gumos als Cecilio kaschiert die Engheiten ihrer Stimme durch den gestischen Reichtum ihres szenisch aufgefassten Gesangs. Lothar Odinius verleiht dagegen dem Tyrannen Silla Farben, die eher aus dem Lied stammen und über das hinaus gehen, was die Arien an Differenzierungen beinhalten. Eine andere Dimension vokaler Sinnlichkeit schließt die Gastsolistin Olga Pudova als Giunia auf. Hier ist der Ton bereits Ausdruck und Präsenz, bevor er sich durch die dramatische Situation erklären müsste. Enorm weicher Schmelz, eine ungeheuer entspannte Koloraturtechnik und schier endlos strömender Atem sind beeindruckend.
Die konzertanten Aufführungen an der Komischen Oper umfassen oft einen szenischen Gag – in „Lucio Silla“ war Schauspielerin Mechthild Großmann dafür zuständig. Die Frau mit den schwarzen Locken und der tiefen Stimme machte sich über die so ähnlichen Namen lustig – und ersparte uns durch ihre Zusammenfassung des Inhalt Mozarts Rezitative. Die Begegnung mit dem Werk verläuft unterhaltsam – genauer muss man „Lucio Silla“ allerdings auch nicht kennenlernen.
Lucio Silla am 13. Mai, Komische Oper, Karten 12 bis 49 Euro, Tel.: 47 99 74 00