„M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ in Berlin: Barrie Kosky inszeniert die Oper zum Film
Während es im Sprechtheater gang und gäbe ist, werden auf der Opernbühne Filmstoffe selten adaptiert. 2003 hat Olga Neuwirth David Lynchs „Lost Highway“ in ein Musiktheater verwandelt, in dem kaum gesungen wurde und über die Handlung des Films eine obligate Gruselmusik gelegt wurde. An der Komischen Oper hat der Komponist Moritz Eggert zusammen mit dem Chefregisseur Barrie Kosky aus Fritz Langs 1931 gedrehtem „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“ jetzt eine Oper gemacht, in der nicht wenig gesungen wird und die dennoch schwer als Oper zu verstehen ist und wie Neuwirths Lynch-Version weitgehend vergeblich ihre Autonomie gegenüber dem Film behauptet. Denn dazu bedürfte es starker, vom Film unabhängiger Szenen.
Seit Volker Kutschers Gereon-Rath-Krimis als „Babylon Berlin“ ins Fernsehen gekommen sind, gibt es einen kleinen Hype um Berlin in den letzten Jahren der Weimarer Republik; die Komische Oper ist mit dieser Zeit aufgrund ihrer breit aufgestellten Operettenschiene ohnehin eng verbandelt. Das mag die Idee erklären, „M“ auf die Bühne zu stellen, und mit dem 53-jährigen Eggert verpflichtete man einen Komponisten, der sich in seinen bislang 15 Opern offen für diverse Formen und populäre Tonfälle gezeigt hat.
„M“ ist indes mehr als ein Stoff, er war auch für seinen Regisseur ein Experiment, nämlich sein erster Tonfilm. Die gesteigerte Realitäts-Suggestion nutzte der mit Fantasy-Stoffen wie „Die Nibelungen“, „Dr. Mabuse“ oder „Metropolis“ bekannt gewordene Fritz Lang im Sinne fast dokumentarischer Wirkung: Die Großstadt wird in ihre sozialen Milieus und Funktionsbereiche zerlegt: Proletariat, Kleinbürger, Polizei, Verbrecher, Prostituierte – und daneben die Kinder als Menschen schlechthin und ihr Mörder als der prinzipiell „Andere“.
"Ist alles nur ein kindliches Spiel?" Im Film war es das sicherlich nicht
In der Oper werden derartige Differenzen kassiert. In Koskys Inszenierung, der zusammen mit seinem Chefdramaturgen Ulrich Lenz das Libretto aus dem Originaldrehbuch, Kinderliedern und surrealen Gedichten von Walter Mehring zusammengestellt hat, treten Polizei, Verbrecher und Huren zwar deutlich unterscheidbar auf. Aber durch ihre Besetzung durch Kinder mit großen Pappmaché-Köpfen wirken sie doch als eine einzige Gattung von Gegenspielern oder auch als feindliche Obsession des Mörders. Das Programmheft fragt: „Ist alles nur ein kindliches Spiel?“ Im Film war es das sicherlich nicht.
Zu fragen wäre, welchen Vorteil die Oper aus dieser Andeutung einer Umdeutung zieht. Es gibt nun nur noch eine einzige Rolle: den Mörder. Das Interesse der Gesellschaft, ihn aus dem Verkehr zu ziehen – jeweils anders begründet, ob es sich um Eltern, Polizei oder Verbrecher handelt –, findet keine Personifikation und bleibt so reichlich blass.
Diese Tendenz zur Abstraktion setzt sich im Bühnenbild fort: Es genügt ein Laufsteg, der mit faltbaren Prospekten zu Hausflur oder Polizeiwache erklärt wird. Aber auch der Mörder selbst artikuliert sich selten und vorwiegend im Medium von Walter Mehrings Versen, deren geistreich montierte Phrasen nachzeichnen, wie sich Sprache als Ausdrucksmittel dem Individuum entzieht. In diesem Sinne schreibt Eggert eine Musik aus Formeln, aus Achtziger-Jahre-Synthesizer-Gejaule, aus Kinderliedern, aus Schlagzeug-Rhythmen, aus sentimentalen Schlager-Gesten, aus Neue-Musik-Klischees, aus der von Peter Lorre gepfiffenen Grieg-Melodie, die zusammen eine gewaltige Collage nicht-authentischen Klangs ergeben, die elektronisch verstärkt in den Raum schwappt.
Sänger Scott Hendricks kann sich mit diesen Liedern gar nicht profilieren
Die Absicht ist immersiv: Man soll einen Eindruck bekommen, wie es im Kopf des Mörders aussieht – Peter Lorres Schlussmonolog über Zwang und Getriebenheit wird zum konzeptionellen Schlüssel des Ganzen. Gerade der aber fällt in Eggerts Vertonung weit hinter Lorres noch immer atemberaubende Darstellung zurück. Scott Hendricks hat in der Rolle des Mörders kaum Gelegenheit, sich zu profilieren; die Kinderlieder, in denen er seine Stimme zeigen könnte, bleiben melodisch konturlos.
Was also ist das für ein Stück? Am ehesten eine Art hundertminütige Klanglandschaft, die ohne Rücksicht auf die schlüssige Verteilung von Kontrasten praktisch ständig Vollgas gibt – sieht man den Generalmusikdirektor Ainars Rubikis seine erste Uraufführung an der Komischen Oper dirigieren, könnte man den Eindruck haben, hier ginge es um höchste expressive Selbstentäußerung. Ein enormes Lob verdienen der Kinderchor der Komischen Oper und seine Leiterin Dagmar Fiebach, die eine höchst umfangreiche Partie zu bewältigen haben und der Oper ihre spezifische Farbe geben: Der Gesang von Kindern, ihr Lachen und Rufen ist fast allgegenwärtig.