Marilyn Manson im Interview: Danke, Mutti, für das üble Timing
Berlin - Es ist 11 Uhr morgens. Marilyn Manson sitzt in der abgedunkelten Keller-Bar des Soho House und hat einen leichten Wodka-Hangover: Am Abend zuvor ist er mit Billy Corgan von den Smashing Pumpkins versackt. Aber gut drauf ist er trotzdem, sein großer, rubinrot geschminkter Mund verzieht sich des Öfteren zu einem Lächeln.
Die Anerkennung, die er jüngst für sein Schauspiel in der TV-Serie „Sons Of Anarchy“ erhielt, hat auch die Musik seines neuen Albums „The Pale Emperor“ beflügelt. Manson hat sein Mojo wiedergefunden.
Herr Manson, danke, dass Sie sich so hübsch für mich zurechtgemacht haben!
Gern geschehen. Das gehört dazu, ne?
In der Serie „Sons Of Anarchy“ müssen Sie allerdings auf Ihre kunstvolle Maske verzichten. Ertragen Sie es, sich so im Fernsehen zu sehen?
Ich musste erst eine Distanz zu mir und meiner Rolle aufbauen, aber dann war es auszuhalten. Ich war ja schon immer Fan der Serie. Dass ich nun selber darin mitwirke, verdirbt den Sehgenuss für mich ein wenig. Ich sträube mich auch immer, zu viel im Drehbuch zu lesen, weil ich gar nicht wissen will, was als Nächstes passiert.
Und das geht?
Klar! Ich war echt angepisst, als Charlie Hunnam, der in der Serie den Jackson verkörpert, mir das Ende verraten hat. Ich dachte nur: Fuck you, danke, dass du es mir versaut hast! Es ist aber auch deshalb hart für mich, mir das anzuschauen, weil ich sehr selbstkritisch bin. Vielleicht sollte ich es künftig so halten wie mein Kumpel Johnny Depp, der sich nie seine eigenen Filme anschaut.
Was verbindet Sie?
Wir kennen uns seit 20 Jahren, wir sind wie Brüder. Wir haben uns beide ein identisches Tattoo über den ganzen Rücken stechen lassen. Es ist eine Zeichnung von Charles Baudelaire von einem Baum mit einem Skelett.
Als Ron Tully in „Sons Of Anarchy“ machen Sie schlimme Dinge im Gefängnis!
Das stimmt! Das ist nicht wirklich das, was man im TV sehen will.
Wir war es, einen Mithäftling im Gefängnis zu vergewaltigen?
Das ist eine sehr direkte Frage!
Zum Glück bezieht sie sich nur auf Fiktionales.
Vergewaltigung ist etwas, das ich in meiner Kunst oft humorvoll behandelt habe. Seit der Serie ist das anders. Ich würde einen Vergewaltiger vermutlich umbringen, wenn er so etwas einer nahe stehenden Person antun würde. Andererseits gelten im Gefängnis andere Gesetze. Dort nennen sie sowas einen struggle snuggle, eine erkämpfte Kuschelei. Ich bin froh, dass ich niemals im Gefängnis gelandet bin, denn ich wäre dort ein steiler Zahn und hätte viel aushalten müssen – da bin ich sicher. Ich wäre definitiv am empfangenden Ende der Kette gelandet!
Wo wir gerade darüber sprechen: Da gab es dieses zusammengeflickte Internet-Video, das Ihnen zugeschrieben wurde und in dem eine inszenierte Vergewaltigung von Lana Del Rey zu sehen war. Haben Sie mittlerweile mit ihr darüber gesprochen?
Das habe ich! Aber wie gesagt, Manson hatte nichts damit zu tun – und das ist die Wahrheit. Lana Del Rey und ich sind aber befreundet.
Sie sollen sogar etwas miteinander gehabt haben.
Soweit würde ich nicht gehen.
Sie haben aber einen ziemlich guten Frauengeschmack, muss ich sagen.
Danke. Ich habe Glück und Unglück, wenn es um Frauen geht. Ich neige dazu, schwierige Lebenssituationen heraufzubeschwören – nicht nur bezüglich Romanzen, auch was meine Musik, Politik oder den Umgang mit der Polizei angeht.
Wie schockierend kann Marilyn Manson 2015 überhaupt noch sein, wenn er in TV-Serien mitspielt?
Nicht schockierender als der Charakter, den ich in „Sons Of Anarchy“ spiele. Wenn das mein Ziel wäre, müsste ich passen. Aber das war auch nie, worum es mir ging.
Sondern?
Ich komme aus einer Ära Ende der 90er, wo ich noch Rockstar sein durfte und nicht Celebrity. Ich habe mich sogar lustig drüber gemacht, ich habe mein Art-Movement „Celebritarian Corporation“ genannt. Das war mein Fuck-You bezüglich der Idee der Celebrity-Kultur! Ich habe mich immer ferngehalten von Roten Teppichen, die nichts mit meinem Schaffen zu tun haben. Als Künstler bevorzuge ich Chaos, deshalb bin ich hier. Wenn das manche Leute schockt, dann ist das nur ein Nebeneffekt.
Ich habe gelesen, Sie wollten auch Ihren Vater mit der Rolle in „Sons Of Anarchy“ stolz machen.
Er ist stolz. Er hat es mir gesagt.
War er das vorher nicht?
Egal, wie hart der Wind mir entgegenblies, er hat mir immer gesagt, dass er stolz auf mich ist. Auch er ist ein Riesenfan der Serie, ich wollte ihn mit der Nachricht aufmuntern. Meine Mutter starb im letzten Jahr, ausgerechnet am Muttertag. Danke, Mutti, für das üble Timing, wo auch immer du bist! Ich saß mit meinem Dad also in Ohio, vor uns stand die Urne mit meiner Mutter. Und ich verkündete ihm, dass ich einen Job in seiner Lieblingsserie habe. So konnte ich ihn auch dazu überreden, mit mir zu den Dreharbeiten nach Los Angeles zu kommen und diesen depressiven Platz in Ohio zu verlassen. Darum ging’s mir.
Hat das auch Ihr neues Album beeinflusst?
Schon, aber anfangs war mir das gar nicht bewusst. Als mein Vater schließlich von Ohio nach Kalifornien fuhr, was mit dem Auto vier Tage dauert, fragte ich ihn: „Warum nimmst du nicht einfach das Flugzeug, Dad?“ Der Grund dafür war, dass er die Asche meiner Mutter auf der Route 66 verstreuen wollte. Es war ihr Lieblingsplatz. Ich hatte das nicht gewusst. Es brachte mich zum Weinen. Es hat mich durcheinandergebracht, denn plötzlich fiel mir die Verbindung auf. Ich meinte zu meinem Vater: „Das ist fast ironisch, denn auf meiner neuen Platte geht es um Blues, um Wegkreuzungen und Scheidewege. Warum hast du mir nicht früher davon erzählt?“ Und er meinte nur: „Ich wusste, dass du früher oder später die Verbindung selbst sehen würdest.“
In „The Pale Emperor“ geht es aber auch um die Verknüpfung von Musik und Film.
Das hoffe ich! Ich habe immer versucht, Platten zu machen, die wie Filme klingen, und irgendwie hat das Schicksal wohl mit reingespielt, dass Filmkomponist Tyler Bates meinen Weg kreuzte. Man kennt ihn durch seine Arbeiten für „Halloween“, „Watchmen“ und „Guardians Of The Galaxy“. Ich habe ihn das erste Mal getroffen, als ich in der Serie „Californication“ mich selbst gespielt habe. Wir haben viele der neuen Songs gemeinsam im Studio geschrieben, das habe ich zuvor noch nie mit jemandem gemacht. Sie sind auch sehr bluesig in dem Sinne, dass ich wenige Worte singe und die Musik die Räume dazwischen auffüllt. Das geht so weit, dass die Melodien die Story der Songs weitererzählen.
Wie bei Filmmusik üblich.
Genau. Und das liegt nicht etwa daran, dass mir nichts einfiel, was ich aufschreiben hätte können. Es resultiert eher daraus, dass ich durch das Schauspielern gelernt habe, mich zurücknehmen und zu versuchen, etwas allein mit meinem Gesicht auszudrücken. Dafür muss es nicht mal mehr geschminkt sein.
Das Gespräch führte Katja Schwemmers.