Martin-Gropius-Bau: ZERO ist gut für dich

Licht, Spiegel, Windmaschinen, leuchtende Nagelscheiben, die Himmelskörpern gleichen, aufgeschlitzte Leinwände und solche von unbeschreiblichem Blau, Rot und Gelb überwältigen den Betrachter.

Schon der Lichthof macht deutlich: Hier, im Martin-Gropius-Bau, Ausstellungshaus der Berliner Festspiele, wird im Jahr 2015 ein Zeitalter besichtigt: das einer markanten Nachkriegsavantgarde im Westen. In dieser Kunst, die ihren Ausgangspunkt in Düsseldorf nahm, stecken Fortschrittsglaube, Utopien, das kühne, kreative Spiel mit Monochromie, mit Farbe, Vibration, Licht und Spiral-Bewegung, mit fragmentierten Körperfotos, Rotoren und Sanduhren. Alles, was einen da schier zu überwältigen scheint, ist eine zauberische Mischung aus Rationalismus und Metaphysik. ZERO steht für Schweigen und Stille, für eine Zwischenzone, in der ein alter Zustand in einen neuen übergeht.

„ZERO ist gut für dich.“ So lautet denn auch die Botschaft am Eingang der Schau voller Dokumentationen der Gruppe, voller Bilder, die wie Mobiles vor schwarzen Wänden schweben und eine merkwürdige Aura des Unberührbaren entfalten. In 20 Sälen wird die puristische Ästhetik der betagten Gründerväter der Bewegung – Heinz Mack, Günter Uecker und Otto Piene, im letzten Jahr auf dem Höhepunkt seiner fulminanten Schau in der Nationalgalerie verstorben, – und ihrer Anhängerschaft verkündet.

Historische Genauigkeit

ZERO war der Aufbruch in eine unbekannte Dimension der Reinheit der Kunst, voller grenzenloser Lichträume, endloser Zeitschleifen, informeller Botschaften. In der Bundesrepublik begann die Wirtschaftswunderzeit. Die Sowjets hatten den ersten Sputnik ins All geschickt. Während damals Amerikas Maler, allen voran Pollock, den Abstrakten Expressionismus zur Weltkunstsprache machten, riefen drei Deutsche den Neubeginn der Künste nach Zweitem Weltkrieg, nach Naziherrschaft und dem im Ostblock verordneten Sozialistischen Realismus aus.

Piene machte Feuer im Atelier, verrußte seine Bilder mit Rauch. Mack reiste im silbernen Overall in die Sahara und pflanzte „Lichtstelen“ im Wüstensand auf. Der aus der DDR in den Westen geflohene Mecklenburger Uecker begann, Tafeln, Leinen, Gegenstände mit Nägeln zu beschlagen.

Die Schau, deren Tour im New Yorker Guggenheim Museum begann und nach Berlin ins Amsterdamer Stedelijk Museum wandert, gelangt damit an jenen Ort, an dem die ZERO-Gemeinde im Jahr 1965 die Schau „NUL65“ zur Legende machte. Hat man im Gropius-Bau alle Säle durchschritten, muss man den Kuratoren der ZERO-Foundation großen Ehrgeiz attestieren: Sie legen größten Wert auf historische Genauigkeit. Es geht also nicht nur darum, Helden zu feiern, sondern ebenso um viele ZERO zugerechnete Werke, von den Schlitzbildern Lucio Fontanas und den Farbflächen Yves Kleins bis zu Rasterarbeiten, Spiegelreliefs, kinetischen Objekten von Adolf Luther, Christian Megert, Hermann Goepfert, Jan Schoonhoven, Almir Mavignier.

Auch namhafte Künstler, die nicht zum Kern zählten, deren Materialbilder aber Gefolgschaft finden bis heute, stehen in beredtem Dialog mit dem Gründertrio. Dessen Stil und Utopie, ebenso das, was der weitere Umkreis, etwa mit Pol Bury, Dieter Roth oder Daniel Spoerri damals zu ZERO beitrug, besagt: Die „reine Lehre“ war nie dogmatisch, so dass nicht auch Neo-Dada, Nouveau Réalisme oder Fluxus möglich waren. Solche Nachfolge lässt sich heute mannigfach aus Werken der jungen Kunst lesen. Man nehme nur Olafur Eliasson, Carsten Höller, Spencer Finch.

„Das Publikum müsste Gelegenheit haben, im Museum zu übernachten ... Erst dann würde sich die Ahnung verbreiten, dass die Qual der Kunst ein Ende hat“. Das behauptete Otto Piene 1960. Die Probe aufs Exempel wagt der Gropius-Bau in der Nacht vom 11. zum 12. April.

Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstr. 7. Bis 8. Juni, Mi–Mo 10–19 Uhr, an Feiertagen offen, Katalog (W. König)29,95 Euro.

ZERO-Performance-Nacht am 11. April, ab 20 Uhr bis zum nächsten Morgen 8 Uhr. Freier Eintritt für alle, die in komplett weißer Kleidung kommen.