Massive Attack im Tempodrom: Hier wird finster in Zeitlupe gerockt
Am Sonnabend konnte man im Tempodrom viele Worte sehen. Hinter der Bristoler Band Massive Attack flackerten Hunderte Medikamente-Listen und Firmenlogos auf, dann ins Deutsche übersetzte Zitate von Tony Blair und George W. Bush zum Irak-Krieg, Namen von nach wie vor unrechtmäßig in Guantanamo Bay festgehaltenen Häftlingen sowie aktuelle Schlagzeilen aus deutschen Medien. Unter letzteren fand sich sowohl der jüngste Bild-Klassiker „Ratz! Fatz! Mats!“ zu Mats Hummels’ Viertelfinal-Tor gegen Frankreich als auch eine ungleich weniger doofe Überschrift aus unserem eigenen Blatt, die uns inzwischen aber wieder entfallen ist!
Ähnlich geht es einem auch mit manchem Stück von Massive Attack: Man hat es zwar beim Konzert erkannt, anderntags aber nicht mehr so ganz im Ohr. Vieles waberte, dröhnte und schleppte sich im Tempodrom gekonnt einem unheilvollem Höhepunkt entgegen, glich dabei aber eher kritischer Kriegs-Doku-Filmmusik als einem Radiohit. Halb so schlimm! Massive Attack verstehen sich als politische Band und arbeiteten einst mit dem britischen Doku-Filmer Adam Curtis zusammen. Dessen clever montiertes Hinterfragen großer politischer Zusammenhänge haben sie wohl verinnerlicht. Nicht nur angesichts der Lage im Irak, dem Erbe der Bush-Blair-Invasion, funktionierte ihre von Bush-Blair-Zitaten unterstützte Darbietung – der Tatsache zum Trotz, dass konkrete politische Statements konzertierender Popmusiker meist unbeholfen wirken.
Der eine oder andere Hit
Nicht, dass Massive Attack nicht auch ihre Bild-Schlagzeilen-Äquivalente hätten: Der eine oder andere Hit schallte durch die Halle, allen voran das Konzertschlusslied „Unfinished Sympathy“, das 1991 erschien. Damals hatte sich die Band um Robert „3D“ Del Naja, Grant „Daddy G“ Marshall und Andy Vowels („Mushroom“ genannt) aus dem Bristoler DJ- und Party-Kollektiv The Wild Bunch herausgebildet und legte mit ihrer Mischung aus Dub-Bass, schleppenden Funk-Beats sowie rauchig-vernuscheltem Rappen das Fundament für Trip Hop. Dazu luden sie Gastvokalisten ein: etwa den besonders rauchig-vernuschelten Rapper Tricky, den Reggae-Crooner Horace Andy und die Soul-Sängerin Shara Nelson.
Auf der Bühne übernahm die Sängerin Deborah Miller Nelsons Part. Horace Andy aber war da. Tremolierend sang er etwa „Angel“ vom dritten Album „Mezzanine“ aus dem Jahr 1998. Damals wandelte sich der Sound von Massive Attack: Hatte man die Musik bislang mit Marihuana-Nebel und deprimierendem englischen Stadtnebel assoziiert, wurde es nun unter Hinzunahme schleppender Rock-Riffs eher Nebel über düsteren Schlachtfeldern. Dieser Ästhetik, derentwegen sich Andy Vowels 1999 verabschiedete, sind Massive Attack bei Konzerten treu geblieben. Am Sonnabend türmten sich etwa im Stück „Future Proof“ Gitarren auf, während auf der Studioversion Streicher-Samples zu hören waren.
Doch auch weniger Brachiales gab es, vor allem in einem Stück wie „Teardrop“, das von der Sängerin Martina Topley-Bird vorgetragen wurde. Topley-Bird gelangte unter anderem zu Bekanntheit, als sie 1994 auf Trickys exzellentem Debüt-Album sang und seufzte. Im Tempodrom besaß sie nicht zuletzt dank einer wunderschönen Wuschelfrisur die stärkste Bühnenpräsenz.
Überhaupt ist Präsenz etwas, das „3D“ Del Naja und „Daddy G“ Marshall gern der aus Gitarre, Bass und zwei Schlagzeugen bestehenden Band sowie den Gastsängern überlassen. Meist fummelten die beiden im Hintergrund an elektronischem Gerät herum. Marshall fehlte oft ganz. Del Naja kam immerhin ab und zu nach vorn, um einige Nuschel-Raps abzuliefern. Doch egal: Das finstere Zeitlupen-Rocken überzeugte – wenn es auch die Tatsache überschattete, dass viel von der alten Dub-Melancholie heute in der Musik junger Post-Dubstep-Künstlerinnen wie FKA Twigs oder Banks nachklingt. Massive Attack sind also nicht nur in Bezug auf Schlagzeilen hochaktuell.