Maxim-Gorki-Theater Berlin: Falladas „Kleiner Mann, was nun?“ feierte Premiere

Allein der Stress mit dem Ehering! Der kleine Angestellte Johannes Pinneberg, Titelfigur des am Gorki-Theater aufgeführten Hans-Fallada-Romans „Kleiner Mann, was nun?“ (1932), hat für sein besorgtes Wesen vielleicht etwas übereilt das Lämmchen, also die Sozi-Tochter Emma Mörschel, zur Frau genommen. Sie sind sich am Strand begegnet, haben harte Eier, Stullen und ihre Ansichten über die grässlichen Menschen getauscht − und plötzlich war das mit dem Nachwuchs nicht mehr rückgängig zu machen.

Sein Chef darf von der Ehe jedenfalls nichts wissen, weil dieser den Pinneberg eigentlich nur angestellt hat, um ihn mit seiner Tochter zu verheiraten. Nun muss der Schauspieler Dimitrij Schaad, also Pinneberg, bei jedem Szenenwechsel entweder den Ring verstecken (in Gegenwart seinen Chefs) oder den nackten Finger (in Lämmchens Gegenwart). Man kennt das aus diversen Ehekomödien des Boulevards.

Malträtierende Vergeblichkeit

Die Sache ist hier aber umso erbärmlicher, weil bei dem Regisseur Hakan Savas Mican die Szenen völlig unvermittelt wechseln, während ohnehin alle Spieler fast immer auf der Bühne sind und das Geschehen zur Kenntnis nehmen. Unbeirrt von aller Offenkundigkeit malträtiert Schaad seinen Ringfinger, und man hat sogleich ein sattsam bekanntes Symbolgefühl für die Vergeblichkeit seines Daseins.

Es ist das Angst-Gezappel eines Kleinbürgers, der merkt, dass er den Boden unter den Füßen verliert. Deshalb auch das Bühnenbild von Sylvia Rieger: Ein abschüssiger Steg aus abgewetzten, berlintypisch ochsenblutroten Dielen reicht aus der Tiefe des Bühnenhorizonts bis über die Rampe, wo die Bretter über dem Nichts federn.

Solche Kleinbürger föhnen im Dauerregen der Gesellschaftskrise nur die eigenen Schafe, sie arrangieren sich mit immer demütigenderen Bedingungen, versuchen dabei im Rahmen ihres Standes moralisch sauber zu bleiben und sind umso gekränkter, weil eben diese strebsamen Anpassungsbemühungen ihr Abrutschen nur beschleunigen. Solche Leute, denen es nun an den Kragen geht, sind doch am Shermin-Langhoff-Gorki-Theater bisher eher Angriffsfläche und Wutadresse gewesen. Dieser sentimentale Abend aber erhebt den − raus mit dem bösen Wort: Spießer.

Er wird dem Publikum völlig ungebrochen als Identifikationsfigur angeboten. Die Spieler stecken in betulich historisierenden Kostümen (Sophie du Vinage), die sie auf offener Bühne mit den Rollen wechseln; eine Live-Brass-Combo untermalt das Geschehen theatermusikalisch (Jörg Gollasch); manchmal animiert sie die Figuren auch zum Singen, als wären wir bei „Les Miserables“.

Betont unironisch und mit sympathisierender Inbrunst erleidet Schaad Pinnebergs Niedergang. Revolutionäre Zuckungen kommen in geradezu Peymann-BE-typischer Pose vor, wenn Anastasia Gubareva als gutherzig-mütterliches Wesen schimpfig die Hände in die Hüften stemmt oder unter der Niederkunft die Faust in den Himmel reckt, um gegen die Verhältnisse zu wettern, die ihren Mann zum Männlein machen und ihrem Murkel die Butter auf dem Brot nicht gönnen.

Diese beiden vielgepriesenen hochbegabten Gorki-Schauspieler Schaad und Gubareva, die ihre spielerische Vielschichtigkeit und Durchlässigkeit vor allem in Inszenierungen von Yael Ronen längst bewiesen haben, müssen an diesem Abend die gestrige Seelennotsuppe ihrer Figuren durchwaten. Zu sehen sind dann vor allem strebsame Wahrhaftigkeitsbemühungen, mit denen letztlich die Romanfiguren nur verdoppelt werden. Im Kontrast zu den kleineren, auf ihre satirischen Klischees reduzierten Rollen stehen die beiden ziemlich nackt da. Szenische Ideen, die über formale, ausgewalzte Zeichenmätzchen hinausgehen, gibt es kaum. Man betextet, bejammert und beschimpft einander, auf dass die Handlung ihren Verlauf nehme.

Löbliche Kritik

Es ist, als hätten sich die Theatermacher ein Beispiel an Pinneberg genommen. Das ist verständlich, denn auch das bürgerliche Theater zittert in Existenzängsten und hat seine Selbstverständlichkeit verloren. Und so jammerig-unreflektiert und engstirnig, wie sich Pinneberg abrackert und sich abrackernd den in aller Ruhe fehllaufenden Verhältnissen unterwirft − so verzweifelt und löblich tritt auch dieses Theater auf der Stelle und verübt seinerseits die konsensfähige Sozialkritik des besorgten kleinen Mannes.

Wozu diese Sorgen führen, in welche Aggressivität gegen Konkurrenten sie umschlagen können, das sieht man heute sehr gut auf Pegida-Demos. Im Gorki-Theater sieht man das an diesem über dreistündigen, einträchtig gefeierten Abend nicht.