„Maybrit Illner“: Weder Malu Dreyer noch die Wirtschaftsweisen blicken bei der Rente durch
Frankfurt - Österreich, Du hast es besser – nun ja, zumindest bei der Rente. Dort zahlen zum Beispiel die Arbeitgeber zwei Prozent mehr als die Arbeitnehmer in die Rentenversicherung ein; dort bekommt einer, der 3500 Euro brutto verdient hat, bei gleicher Lebensarbeitszeit fast 800 Euro mehr als der Deutsche mit rund 4000 Euro Gehalt. Darüber informierte ein Einspieler bei Maybrit Illners Talkshow. Die stand diesmal unter dem Motto: „Hungerlöhne, Mager-Rente – unruhig in den Ruhestand?“ Warum es diesen eklatanten Unterschied zum Nachbarland gibt?
Ein ahnungsloser Wirtschaftsweise
Malu Dreyer (SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, wusste es nicht. Christoph M. Schmidt, Vorsitzender des Sachverständigenrats der "Wirtschaftsweisen", sagte, man müsste mehr wissen“. Wie bitte? Der ausgewiesene Fachmann ahnungslos bei einer längst bekannten, im Zusammenhang mit der Rentendiskussion immer wieder erwähnten Tatsache? Kaum zu glauben. Jedenfalls alles andere als „weise“. Antonio Brettschneider vom Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung hatte die Erklärung: Zum einen zahlen Selbständige in die Rentenversicherung ein, zum andern habe Österreich das politisch so entschieden. „Es geht auch anders als in Deutschland.“
Dass es so nicht weitergeht, in Deutschland, das hatte, neben dem Beschluss der Regierungskoalition vom gleichen Abend, den Anlass zu dieser Talkshow gegeben. Denn da die Gesellschaft immer älter und die Zahl der Jungen immer kleiner wird, droht dem System der Kollaps. Und auch jetzt sind schon immer mehr Menschen von Altersarmut bedroht. Illner hatte die 74-jährige Magda Kunkel geladen, die nach 48 Jahren Arbeit auf gerade mal 690 Euro kommt und somit Unterstützung braucht, damit sie die Grundsicherung erreicht.
Rentner wollen „Achtung der Arbeit“
Die Rentnerin kritisierte vor allem die Demütigung, der sie ausgesetzt sei, wenn sie einen Antrag auf Erhöhung stellen müsse. Sie will vor allem „Achtung der Arbeit“, die sie geleistet hat. Weil wohl viele, denen es ähnlich geht, sich den Schikanen auf den Ämtern gar nicht erst aussetzen wollen, schätzt Brettschneider den Anteil der Altersarmut auf sieben bis acht Prozent – offiziell spricht die Politik von drei Prozent.
Wie absurd das System sich entwickelt hat, zeigte ein Einspieler: Wer ein Leben lang mit dem Mindestlohn auskommen muss, der müsste 60 Jahre lang arbeiten, um die Grundsicherung von 800 Euro zu erreichen.
Da wollte Paul Ziemiak, Chef der Jungen Union, dann doch lieber über anderes reden, Kinderarmut und die Situation der Alleinerziehenden seien ja auch ganz schlimm. Die Mängel im Sozialsystem sind aber hausgemacht; so ließ man zu, dass der Niedriglohnsektor aufgebläht wurde, weil man die Zahl der Arbeitslosen senken wollte. Dabei sei man jedoch über das Ziel hinausgeschossen, so Brettschneider. Er fasste das Dilemma der Beschäftigten in einer drastischen Alternative: Entweder ausgegrenzt oder ausgebeutet zu werden. Das passte auf Carla Rodrigues-Fernandes.
Sie arbeitet seit gut 20 Jahren als Gebäudereinigerin und fühlt sich „bestraft“ dafür, dass sie ein Kind hat, denn die Erziehungszeit würden „zu gering geschätzt“. Brettschneider schlug als Remedur eine „Mindestbemessungsgrundlage“ vor sowie eine Art „Rentencent“ von den Arbeitgebern, die ja bei Rente und Krankenversicherung geschont werden und weniger einzahlen als die Arbeitnehmer. Die hätten den demographischen Wandel bislang alleine bezahlt. Sowas hörte der Christdemokrat nicht gerne und erzählte wieder einmal das Märchen von der andernfalls gefährdeten „Wettbewerbsfähigkeit“, und der Wirtschaftsweise faselte gar davon, dass Arbeitgeber und -nehmer „eine Leidensgemeinschaft“ seien. Die von Entlassung Bedrohten bei VW werden es gerne gehört haben.
Malu Deyer will am Drei-Säulen-System festhalten
Malu Dreyer wollte trotz allem am System der drei Säulen festhalten: staatliche Rentenversicherung, Betriebsrenten und private Vorsorge. Ziemiak erntete höhnische Lacher im Publikum bei seiner Behauptung, das Riestern funktioniere, und selbst Ideologe Schmidt musste zugeben, dass man sich „mehr vorgestellt“ habe bei der Riesterrente. Einig war man sich, dass das Renten-Eintrittsalter in Richtung 70 tendieren werde – fraglich, wer das wird leisten können.
Den kleinen Selbstständigen wird kaum etwas anderes übrig bleiben. Dass sie schon jetzt mangels Masse kaum Vorsorge treffen könnten, machte die Kioskbesitzerin Claudia Kloß-Fricke klar. Ihr Zwölf-Stunden-Tag wird ihr im Alter, so hat sie ausgerechnet, gerade mal 800 Euro Rente bringen. Sie glaubt, die Politiker hätten die Nähe zur Realität verloren – und wurde von Paul Ziemiak umgehend bestätigt: Der riet ihr nämlich, wenn ihre Arbeit so wenig Ertrag bringe, solle sie doch einen anderen Job machen...
„Maybrit Illner“, von Donnerstag, 24. November, 22.15 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.