„Mein wunderbares West-Berlin“ : Dokumentarfilm über die Geschichte der queeren Stadt
Nollendorfplatz. Hermannstraße. Flughafen Tempelhof. Kleist-Kasino und Eldorado. Steglitzer Kreisel. Tegeler See. Tiergarten. Bahnhof Zoo. Ellis Bierbar am Görlitzer Bahnhof.
In seiner Dokumentation „Mein wunderbares West-Berlin“ erinnert Regisseur Jochen Hick mit körnigen Aufnahmen an die teils noch existierenden, teils als solche verschwundenen schwulen Treffpunkte der Siebzigerjahre – jene Zeit, als im Westteil der Stadt eine Szene entstand, die Männer aus aller Welt anzog. „In Berlin will ich mich künftig ganz auf mein Schwulsein konzentrieren“, erklärt ein Student im Film auf die Frage, was ihn in die Mauerstadt lockte.
Neben hedonistischen Vergnügungstempeln bot diese freilich auch den Kontakt zu anderen politischen Aktivisten. Viele Homosexuelle wollten sich nicht länger verstecken: „Rüscht euch auf, damit wir sichtbar werden“, lautete in den Siebzigern das Motto bei der „Tuntenfraktion“ der Politgruppe „Homosexuelle Aktion Westberlin“ (HAW). So fuhren einige Männer im Fummel U-Bahn und strickten dort einfach nur, wofür sie mehrfach verprügelt wurden, wie sich Maler und Aktionskünstler Salomé im Film erinnert.
Es gab Demonstrationen gegen den schwule Handlungen unter Strafe stellenden Paragrafen 175 und Solidaritätsaktionen für den Lehrer „Baby Jane“, der sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt hatte und dafür mit Berufsverbot belegt wurde. Und es gab viele langwierige Diskussionen in basisdemokratischen Plenen.
Lesben werden nur gestreift
Die Situation von Lesben wird in dem Film, der bei der diesjährigen Berlinale Premiere hatte, nur gestreift. Stattdessen widmet sich Regisseur Hick („Der Ost-Komplex“) ausführlich Prominenten wie den Filmemachern Rosa von Praunheim und Wieland Speck, Modezar Wolfgang Joop, Schneidermeister Klaus Schumann, Filmwissenschaftler Wolfgang Theis, Friseur Udo Walz und dem Visagisten René Koch.
Parallel zur politischen und gesellschaftlichen Emanzipation begann das West-Berliner Nachtleben zu blühen. Koch, der 1963 nach Berlin kam, erinnert sich im Interview an die Razzien und Festnahmen, die es damals in schwulen Bars und Clubs gab. Anschließend kam es oft zum Zwangs-Outing, wenn die Eltern ihre homosexuellen Teenager-Söhne von der Polizei abholten.
Legendäre Läden wie SO36 und Dschungel, die Anfänge der Technoszene, die ersten harten Drogen – das ganze subkulturelle Biotop, das Filmfans aus der Doku „B-Movie – Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989“ (2015) kennen, war auch immer Heimat der queeren Szene. Aus den Clubs der ausgiebig feiernden Schwulen heraus entwickelten sich wiederum neue Strömungen wie die Post-Punk-Bewegung.
Die aus den Niederlanden stammende Sängerin und Entertainerin Romy Haag betrieb damals in der Fuggerstraße das Chez Romy Haag, wo auch David Bowie und Iggy Pop ein- und ausgingen – als nach dem Ledertreffen 1974 aber immer mehr Dark Rooms entstanden, drohte ihr Etablissement pleitezugehen.
Aids-Krise brachte Aufmerksamkeit
Der schnelle, anonyme und oft ungeschützte Sex hatte sich aus den Klappen auf öffentlichen Toiletten in die Bars verlagert – und brachte in den 80ern die HIV-Krise nach Berlin. Wegen ihr wurden das Stadtmagazin Siegessäule und die Aids-Hilfe gegründet, und so schlimm sie war, „hat sie doch auch dabei geholfen, Homosexualität in der Gesellschaft zum Thema zu machen“, erinnert sich Gerhard Hoffmann, der selbst seinen Partner durch die Immunschwächekrankheit verlor.
Viele damals gegründeten Institutionen wie das Schwule Museum, das (heute in Neukölln ansässige) SchwuZ und der Berlinale-Preis Teddy Award gehören auch heute zu den wichtigsten Bezugspunkten für die homo-, bi- und transsexuellen Bewohner der Hauptstadt.
Mit seinem nächsten Film will Jochen Hick nach „Out in Ost-Berlin“ und „Mein wunderbares West-Berlin“ seine Berlin-Trilogie abschließen. Dann soll es um die Zeit nach dem Mauerfall gehen. (mai.)
„Mein wunderbares West-Berlin“, R: Jochen Hick, 78 Min.; zu sehen am Mi (19.7.) um 15 Uhr im Kant Kino, 12 & 18.15 Uhr Moviemento, 18.15 Uhr Xenon, 22.15 Uhr Lichtblick / Do-So (20.-23.7.) um 20 Uhr Klick Kino, 21.45 Uhr Tilsiter Lichtspiele & 22 Uhr Il Kino