Meine Freundin ist so wahnsinnig schüchtern – muss ich das akzeptieren?

Sie fragen, unser Mann für die Liebe antwortet. Heute: Muss man den Partner so nehmen, wie er ist – oder darf man auch versuchen, auf ihn einzuwirken?

„Natürlich müssen wir unsere Partner so akzeptieren, wie sie sind. Das heißt nicht, dass wir das auch alles gut finden müssen.“
„Natürlich müssen wir unsere Partner so akzeptieren, wie sie sind. Das heißt nicht, dass wir das auch alles gut finden müssen.“Imago

Tobias, 38: Lieber Herr Lenné, ich habe eine etwas heikle Frage. Ich habe den Eindruck, dass meine Freundin zu schüchtern ist. Privat zu zweit stört es mich nicht, aber wenn wir unter (meinen) Freunden sind, dann schon. Muss ich das akzeptieren oder sollte ich es ansprechen und meine Freundin zu ändern versuchen?

Lieber Tobias, schön, dass dir meine Kolumne gefällt. Es sind ja eigentlich drei Fragen, die du stellst. Du fragst, ob du deine Freundin so akzeptieren musst, wie sie ist, du fragst, ob du sie auf ihr Sosein ansprechen darfst und du fragst, ob du versuchen darfst, sie zu ändern.

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Ich sage „Ja“ als Antwort auf alle deine Fragen. Natürlich müssen wir unsere Partner so akzeptieren, wie sie sind. Das heißt nicht, dass wir das auch alles gut finden müssen. Die Akzeptanz – das Sosein anzuerkennen, wie es eben im Moment ist – ist eine wichtige Grundlage für Vertrauen und Geborgenheit und damit für das langfristige Gelingen euer Liebesbeziehung. Wenn deine Freundin auch nicht ganz einverstanden ist mit ihrer eigenen Schüchternheit und sie sich selbst verändern möchte, unterstützt du sie am besten, indem du einerseits ihre Schüchternheit anerkennst und andererseits ehrlich von deinen eigenen widersprüchlichen Gefühlen dazu mit ihr sprichst.

Es gibt Menschen, die haben es nicht so mit den anderen Menschen. Sie halten sich eher zurück, meiden den Blickkontakt und sprechen etwas leise. Das nennt man schüchtern oder introvertiert. Andere gehen mehr nach außen, sind lauter und direkter. Bei manchen ist das das natürliche Temperament, schon zu beobachten bei kleinen Babys. Bei anderen entsteht es erst in der Kindheit, mit den Eltern, in der Kita und auf dem Schulhof. Oft ist es eine Mischung aus beidem. Manchmal ist es auch eine große Ängstlichkeit, die sich hinter dem Schüchternen versteckt.

Wenn deine Freundin sich an dieser Stelle entwickeln möchte, kann sie sich mit ihrer eigenen speziellen Gefühlsmischung beschäftigen. Sie kann Achtsamkeitsübungen machen, eine Selbsterfahrungsgruppe besuchen oder eine Psychotherapie beginnen. Für dich würde ich mir überlegen, was genau das unangenehme Gefühl ist, das du spürst, wenn ihr mit deinen Freunden zusammen seid. Es klingt ein wenig so, als ob du dich für deine Freundin schämst. Das heißt einerseits, dass sie dir sehr nah ist, aber andererseits auch, dass du dich bei deinen Freunden selbst unter Druck setzt, die richtige Art von Freundin haben zu müssen – auf jeden Fall nicht so eine schüchterne.

Haben Sie auch eine Frage an den Paartherapeuten? Schreiben Sie uns! liebe@berliner-zeitung.de

Dieser Text ist in der Wochenendausgabe der Berliner Zeitung erschienen – jeden Sonnabend am Kiosk oder hier im Abo.