Michael Bongardt zum IS-Terror: „Aus diesem Krieg wird kein wunderbarer Friede“

Herr Professor Bongardt, wir befinden uns in einem Krieg gegen den IS, von dem noch nicht abzusehen ist, ob es ein Weltkrieg oder ein lokal begrenzter ist, ob es sich hier um einen Religions- oder Eroberungskrieg handelt. Auffällig ist nur, dass die militärische Intervention durch den Westen große Zustimmung findet. Es ist, als führe die Situation zu einer Notstandsethik. Haben wir es mit einem Fall von Notwehr zu tun?

Zu Notwehr ist ja immer nur berechtigt, wer selbst betroffen ist. Dass die Kurden oder Jesiden zu solcher Notwehr ein Recht haben, steht außer Zweifel. Aber die politische Frage, ob und wie man sie in die Lage versetzen soll, sich ihrer Not zu erwehren, ob man Waffen liefern oder in den Krieg eingreifen soll, ist damit nicht beantwortet.

Das ist die Frage danach, ob eine Kriegsbeteiligung gerechtfertigt ist, ob es, wie der Tübinger Theologe Eberhard Jüngel gesagt hat, „gewissenhaft gewissenlos zu handeln“.

Das klingt theoretisch schön paradox. Aber was soll das bedeuten?

Dass in Situationen, bei denen es um Leben und Tod geht, zynisch wäre, sich auf theoretische pazifistische Überzeugungen zurückzuziehen.

Dass es ethisch richtig und gut ist, den Betroffenen zu helfen, steht außer Frage. Nur wie genau? Wir haben es hier mit einem echten Dilemma zu tun: Auf der einen Seite gibt es offensichtlich keine Alternative zu militärischen Interventionen, auf der anderen zeigen alle Beispiele der letzten Jahre, dass solche Interventionen keine dauerhafte Lösung bringen, sondern neue Konflikte schüren.

Dennoch agiert der Westen so, als ließe sich das Problem lösen, indem man die IS-Terroristen einfach umbringt. Verändern sich damit nicht auch ethische Standards?

Ja, es ist für mich erschreckend, dass auch in Deutschland in den aktuellen Debatten militärischen Interventionen immer schneller zugestimmt wird. Dass sie nach wie vor ethisch fragwürdig sind, scheint gar nicht mehr bewusst zu sein. Offenbar vollzieht sich ein Paradigmenwechsel, demzufolge militärisches Eingreifen wieder zum alltäglichen Mittel von Politik wird. Ein so radikaler Wechsel bräuchte eine viel differenziertere Diskussion.

Was fehlt in der Diskussion? Die Frage nach den Kriterien des Handelns?

Genau, und zu den Kriterien gehört es nach heutigem ethischem Standard, anders noch als bei Kant, auf die Folgen des Handelns zu schauen, nicht nur auf die Absichten. Bei militärischen Interventionen müssen deshalb sowohl die Konsequenzen als auch die Intentionen beachtet werden. In der aktuellen Situation ist abzusehen, dass aus diesem Krieg kein wunderbarer Friede entstehen wird. Die Gewaltspirale wird sich weiterdrehen. Zudem werden die Gewaltformen immer weniger mit klassischer Kriegsführung zu tun haben. Und was die Intentionen für das militärische Eingreifen angeht: Darüber wird zwar viel geredet, aber es werden in der Praxis keine Schlussfolgerungen gezogen. Es bleibt fragwürdig, wo sich die so genannte westliche Wertegemeinschaft zum Eingreifen bemüßigt fühlt und wo nicht. Nach ethisch verantwortbaren Kriterien fallen diese Entscheidungen nicht.