Monika Grütters zum Humboldt-Forum: "Wir wollen ein Kulturprojekt neuen Typs"
Kulturstaatsministerin Monika Grütters ist heiser, ein Rundfunkinterview hat sie absagen müssen, der Bundestagswahlkampf fordert auch ihr einen Tribut ab. Die angeschlagene Stimme aber hat ihr die gute Laune nicht genommen. Stolz präsentiert sie den Ausblick von der Terrasse ihres Büros im Kanzleramt. Dann aber schaltet sie um in den Arbeitsmodus.
Frau Grütters, Sie haben zuletzt mit klaren Worten auf die anti-israelische Organisation BDS reagiert, die zum Boykott gegen das von Ihnen geförderte Berliner Festival Pop-Kultur aufgerufen hatte, weil die israelische Botschaft zu den Sponsoren des Festivals gehörte. Müssen wir uns auf Kulturkämpfe einstellen, in denen es nicht mehr um Argumente, sondern um die Aufführung von Machtproben geht?
Bei dem Festival sollte durch die ideologisch begründete Ausgrenzung von Künstlern eine Stellvertreterdebatte für eine politische Auseinandersetzung erzwungen werden, die unserem kulturellen Verständnis völlig zuwider läuft. Man kann ja die israelische Siedlungspolitik mit politischen Argumenten kritisieren. Ich halte es aber für absolut inakzeptabel, wenn, wie in diesem Fall geschehen, Musiker bedrängt und Künstler regelrecht instrumentalisiert werden. Das zeugt von einem mangelnden Respekt vor der Freiheit und der Autonomie der Kunst. Der Automatismus, dass arabische Künstler es offenbar nicht mehr wagen, sich einem Aufruf des BDS zu widersetzen, weil sie Diffamierungen und Denunziationen in ihren Heimatländern und im Netz befürchten müssen, markiert eine dramatische Entwicklung.
Wenn man mit etwas mehr Abstand auf diesen Vorgang schaut, kann man konstatieren, dass demokratische Institutionen immer mehr von professionell geführten Kampagnen in die Zange genommen werden. Der BDS ist ja eine eher kleine Organisation, erzielt über die digitalen Medien aber inzwischen eine enorme Wirkung. Muss Sie das über den konkreten Fall hinaus nicht gerade auch als Kulturstaatsministerin für Medien beschäftigen?
Es bestätigt den von uns seit Jahren erhobenen Appell, sich neue Kompetenzen im Umgang mit den neuen Medien anzueignen. Das beginnt bereits in der Schule, und wir können dabei helfen, dazu einschlägige Bildungsprogramme zu entwerfen. Es gibt bereits diverse Aktivitäten, in denen auf die Chancen des Internets verwiesen wird, aber eben auch auf seine Gefahren. Es wird noch sehr viel mehr darauf ankommen, in der Netzwelt selbstbewusst zu bleiben und sich dort herrschenden Mechanismen nicht unreflektiert zu unterwerfen. Dazu gehört auch, dass Manipulationen und Beeinflussungsversuche dort erkennbar werden, wo die Technik immer komplexer wird. Das Netz darf aus Bürgern keine reinen User machen.
Die Werte, die wir uns in der analogen Welt mühsam erarbeitet haben, müssen auch in der digitalen Welt gelten. In der Politik wird oft versucht, über den Verhandlungsweg einen Interessenausgleich zu schaffen. Im Netz hingegen herrscht die pure Ökonomie der Klicks. Was uns große Sorgen bereitet, ist die Macht der Datenmonopole, die sehr schnell auch zu Deutungs- und dann Meinungsmonopolen werden können. Wir laufen Gefahr, dass die bisherigen Wege der politischen Meinungsbildung ausgehebelt werden zugunsten einer schlichten Macht des Stärkeren.
Trotz alledem ist die Auseinandersetzung mit scharfem Widerspruch ein zentraler Bestandteil der demokratischen Debatte. Horst Bredekamp, einer der drei Intendanten des Humboldt-Forums, hat kürzlich beklagt, dass die Medienberichterstattung zuletzt allzu lustvoll das Scheitern des Projekts heraufbeschworen habe. Hat er Recht, oder ist das nicht auch ein bisschen überempfindlich?
Als Co-Intendant ist er in dieser Frage sehr sensibel, weil er natürlich genau weiß, dass dort Immenses geleistet wird. Vielleicht bin ich durch meine lange politische Erfahrung und der damit verbundenen Abhärtung etwas gelassener. Die Kritik einer renommierten Wissenschaftlerin wie Bénédicte Savoy fand ich in der Wortwahl unangemessen, z.B. hat sie zur Bekräftigung ihrer Einwände einen doch recht polemischen Vergleich mit Tschernobyl gezogen. Was aber überaus wichtig war und was sie mit ihrer Kritik darüber hinaus erreicht hat, ist die jetzt sehr öffentliche Diskussion über ein Thema wie den Kolonialismus. Mitunter wird auch diese Debatte scharf und polarisierend geführt.
Dass das Humboldt-Forum solche Themen lange vor seiner Eröffnung auf die Tagesordnung bringt, bestätigt eher die Notwendigkeit und die Relevanz eines solchen Forums. Wir wollen ein Kulturprojekt neuen Typs: Wir möchten nicht museal arbeiten, die Sammlungsgegenstände sollen vielmehr der Anlass für eine interdisziplinäre Herangehensweise sein.
Es geht dabei auch um neue Darstellungsformen und neue Erzählweisen der Menschheitsgeschichte, die nicht mehr chronologisch oder regional dargestellt wird, sondern horizontal in Themen, zum Beispiel Anfang und Ende des Lebens, die Rolle der Religionen oder die jahrtausendelangen Bevölkerungsbewegungen in der Welt. Und wenn all dies bereits vor der Eröffnung leidenschaftlich diskutiert wird, dann kann die Idee des Humboldt-Forums doch nicht ganz falsch sein.
Im Kern ging es dabei um die sogenannte Provenienzforschung. Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK), wird nicht müde zu betonen, dass bereits erhebliche Anstrengungen zur Klärung der Herkunft von Sammlungsgegenständen unternommen werden, vor allem auch im direkten Kontakt mit Experten aus den einstigen Kolonien. Geschieht das in ausreichender Form?
Ich bin Kunsthistorikern und habe den Begriff der Provenienzforschung bereits in den 80er-Jahren kennengelernt. Vielleicht etwas weniger politisch war die Provenienzforschung aber immer ein wichtiger Bestandteil der wissenschaftlichen Annäherung an die Geschichte. Politisch bedeutend wurde diese spätestens mit der Washingtoner Erklärung von 1998, in der auch Deutschland sich verpflichtet, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmten Kunstwerke als Raubkunst zu identifizieren, deren – meist jüdische – Vorkriegseigentümer oder Erben ausfindig zu machen und eine „gerechte und faire Lösung“ vor dem Hintergrund dieser Opferschicksale zu finden. Wie wichtig diese Grundsätze sind, habe ich einige Wochen nach meiner Amtsübernahme 2013 mit dem plötzlich aufkommenden Fall Gurlitt erlebt.
Zwar haben sich auch damals schon viele Museen darum bemüht, ihre Sammlungsbestände aufzuarbeiten. Wahr ist aber auch, dass künftig noch große Anstrengungen erforderlich sind. Dennoch hat sich ein gestärktes Bewusstsein dafür entwickelt, was wir den Opfern schuldig sind, wie wir also auch moralisch angemessen mit unserer Geschichte umgehen.
Was haben Sie daraus gelernt?
Der Fall Gurlitt hat viel ausgelöst, die Mittel für die Herkunftsforschung sind aus meinem Etat verdreifacht worden, und wir haben neue organisatorische Strukturen für eine verbesserte Provenienzforschung geschaffen. Da der Bund Projektfinanzierungen zur Verfügung stellt, kann sich jetzt kein Museum in Deutschland mehr dieser Aufgabe entziehen. In Bezug auf das koloniale Erbe in Museen, wird das Humboldt-Forum eine ähnliche Signalwirkung erzeugen wie der Fall Gurlitt. Deshalb werden wir auch bundesseitig Mittel, Know-how und Personal zur Verfügung stellen.
Große kulturpolitische Vorhaben haben oft einen langen Vorlauf. Zur Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals etwa hat es mehrere künstlerische Wettbewerbe gegeben und es wurde wiederholt vom Bundestag bestätigt. Sie haben sich – vergeblich – gegen eine Errichtung ausgesprochen. Ist die Politik überhaupt zu einer Kursänderung in der Lage, wenn sich herausstellen sollte, dass sich die gesellschaftspolitischen Gegebenheiten verändert haben?
Ich habe seinerzeit von einem verbreiteten Unbehagen gegenüber der Waage gesprochen. Ein Denkmal für dieses herausragende positive Ereignis unserer jüngeren deutschen Geschichte will sicher eine große Mehrheit der Deutschen. Die Frage ist aber, wie wir die Würdigung der friedlichen Revolution so umsetzen, dass eine breite Öffentlichkeit später mit dem Ergebnis einverstanden ist.
Für mich gab es nie Zweifel daran, dass an mutige Bürger, die friedlich eine Diktatur zu Fall bringen, erinnert werden muss. Meine Einwände bezogen sich vielmehr auf die dafür gefundene Formsprache. Und natürlich muss man sich angesichts der Komplikationen bei diesem Projekt fragen: Haben wir zu schwierige Verfahrenswege? Gibt es überhaupt eine künstlerische Ausdrucksform, die in einem gesellschaftlichen Konsens dem Ereignis gerecht wird? Können wir immer noch nicht mit den Aspekten der nationalen Repräsentation umgehen, selbst wenn es um positive Geschichtserfahrungen geht?
Ich war der Meinung, dass man hier hätte innehalten und noch einmal diese Fragen diskutieren sollen, von den besonderen Schwierigkeiten des Standorts einmal ganz zu schweigen.
Frau Grütters, ich gehe davon aus, dass wir gerade eine Art Zwischenbilanz ihrer Arbeit als Kulturstaatsministerin gezogen haben − was sind aus Ihrer Sicht die großen Themen für eine zweite Amtszeit?
Klar – im schönsten Büro der Republik thematisch die schönste Aufgabe innerhalb der Bundesregierung erfüllen zu dürfen, ist schon ein Glück. Das liegt vor allem auch daran, dass man in den letzten Jahren einen deutlichen Bewusstseinswandel wahrnehmen konnte, was die Rolle der Kultur betrifft. Kultur ist eben keine Milieufrage mehr, Kultur hat sich in weiten Teilen der Bevölkerung als ein Modus des Zusammenlebens wieder stärker im Bewusstsein etabliert.
Und es hat sich zunehmend auch der Gedanke durchgesetzt, dass die Kultur bei der Beantwortung brennender sozialer Fragen eine maßgebliche Rolle spielt, etwa bei der Integration. Den Zustand einer Gesellschaft kann man weniger an ihrem dichten Autobahnnetz, wohl aber daran erkennen, wie sie mit ihrer Kultur umgeht. Aber es gibt noch einiges zu tun.
Woran denken Sie?
Ich wünsche mir, den Kredit, den ich mir in den vergangenen vier Jahren erarbeitet habe, für etwas langfristigere Reformvorhaben einsetzen zu können. Ich habe eingangs gesagt, dass das Humboldt-Forum geeignet ist, Debatten anzustoßen. Die Arbeiten für das Humboldt-Forum haben uns aber auch das Reformbedürfnis bei der größten deutschen Kulturinstitution Stiftung Preußischer Kulturbesitz offenbart. Ich bin mir mit seinem Präsidenten Hermann Parzinger einig, dass wir Reformen in der Stiftung angehen wollen.
Ich denke, wir sollten 60 Jahre nach Gründung der Stiftung danach fragen, wo wir Strukturen und Arbeitsabläufe präzisieren und an veränderte und zeitgemäße Aufgaben und Bedürfnisse anpassen müssen. Darüber hinaus werden die Herausforderungen der Digitalisierung, des Urheberrechts und der sozialen Absicherung von Künstlern weiter auf der politischen Agenda stehen.