Museumsinsel: Ein Westfale für die Alte Nationalgalerie

Hier führt jeder Schritt ins Pathos. Unter all den Kunsttempeln der Berliner Museumsinsel mutet die Alte Nationalgalerie rein äußerlich   überaus antik an. Architekt und Schinkel-Schüler August Stüler hatte den Sandsteinbau  feierlich aufgesockelt geplant, wie auf einem Burgberg, von Kolonnaden umschlossen. Über der doppelten Freitreppe reitet  Museumsinsel-Gründer Friedrich Wilhelm IV., der „Romantiker auf dem Thron“.

Die Giebelinschrift „DER DEUTSCHEN KUNST 1871“ bezieht sich auf die politische Einheit der Nation durch die Reichsgründung in jenem Jahr.  Germania, Schutzpatronin der Künste, steht obenauf, dazu steinerne Allegorien der Schwestern Malerei. Bildhauerei, Architektur.

In diesem Haus, in dem bis unters Oberlicht-Dach die deutsche und europäische Kunst des 19. Jahrhunderts  gesammelt wird,  hat ab  Mai Ralph Gleis das Sagen, ein exzellenter Kenner dieser Ära, ihrer Ästhetik, der Stile und politischen Hintergründe. Der Kunsthistoriker weiß so gut wie alles über die Meisterwerke von Schinkel,  Caspar David Friedrich, Carl Blechen,  Feuerbach, Klinger. Über die von Menzel, Leibl, Böcklin. Und er kennt sich aus bei Rodin, Cézanne, van Gogh, Corot, Renoir, Manet, Degas – und natürlich bei Liebermann.

Brückenbauer zum künftigen Museum der Moderne

Gleis, 1973 in Münster geboren,  ausgebildet an der dortigen Wilhelms-Universität und in Bologna, promoviert in Köln, war bereits am Deutschen Historischen Museum Berlin, am Königlichen Museum der Schönen Künste in Antwerpen und im Haus der Geschichte in Bonn tätig. Bis dato ist er Kurator  im  Wien Museum. Mit Ausstellungen zum Biedermeier, dem Malerfürsten Hans Makart, zu kultur-historischen Phänomenen wie der Weltausstellung und der Gründerzeit machte er sich in  Österreich einen Namen. 

In Berlin folgt der Feingeist auf Philipp Demand, der inzwischen die Frankfurter Schirn leitet. Gleis’ Forschungen zur politischen Ikonographie   werden seine künftige Arbeit auf der Berliner Museumsinsel  untermauern. Im Haus, dessen mäzenatische, bürgerschaftliche Sammlungen wie die Stiftung des Konsul  Wagener oder die mutigen Ankäufe, etwa der  französischen Impressionisten durch Direktor Tschudi vor 1900,   in eher reibungsvollem  Kontrast zur patriotischen Architektur stehen, wird Gleis die Geschichte der Vor- und  der frühen Moderne weiterschreiben. Im Sinne seiner musealen Vorväter Tschudi, Bode, Justi. Und als Brückenbauer zum künftigen Museum der Moderne am Kulturforum.