Abschied: Die Ost-Band City rockt ein letztes Mal Berlin
Die Band City gibt es nicht mehr: Vor Tausenden Fans haben die vier Musiker am Freitagabend in Berlin ihr letztes Konzert gespielt – ein vorbildlicher Abschied.

Nachdem die letzten Geigentöne verklungen sind, die Musiker sich minutenlang von der tosenden Halle verabschiedet haben, der Vorhang in der Mercedes-Benz-Arena gefallen ist und das Saallicht aufblendet, da bleiben viele Fans mit roten Augen einfach sitzen, wollen es nicht wahrhaben, dass es nun vorbei sein soll. City haben 50 Jahre nach der Bandgründung ihr allerletztes Konzert gespielt – viele Fans waren ihnen seit Jahrzehnten treu geblieben. Gitarrist Fritz Puppel, als Einziger von Beginn an dabei, geht auf die 80 zu und hatte schon im Frühjahr angekündigt, er wolle jetzt erst mal ein Jahr lang Silvester feiern. Auch die anderen Bandmitglieder sind über 70, Schlagzeuger Klaus Selmke ist vor zwei Jahren gestorben.
Ihr definitiv letztes Konzert war ein wehmütiger Abend, aber zugleich ein vorbildlicher Abschied – so kraftvoll, so auf der Höhe der Zeit, so stark bei sich selbst sind City geblieben. Zwar sind weiterhin Bands aktiv, die in den Siebzigern im Osten groß geworden sind, etwa Karat, Stern Meißen, Lift oder Renft. Aber sie alle beschwören mehr oder weniger die alten Hits, haben kaum noch Neues produziert, und von den früheren Musikern sind die meisten gar nicht mehr dabei.
Ganz anders City. „Die letzte Runde“ hieß nicht nur ihre Tournee, die sie im Sommer schon auf die großen Freilichtbühnen wie die Wuhlheide geführt hatte. „Die letzte Runde“ haben sie auch ihr letztes Album genannt, das im Konzert denselben Raum einnimmt wie ihr Erfolgsalbum „Casablanca“ aus dem Jahr 1987. Die Hymne „Come Together“ eröffnet den Abend: „Ob Osten, Westen, Süden oder Norden, wir sind zusammen groß geworden. Wer immer uns zur Welt gebracht, wir sind vom selben Stoff gemacht.“
Aus der Ferne sehen City immer noch so aus wie vor 40 Jahren
Als „Schlüsselsong“ des Albums präsentiert Sänger Toni Krahl das Stück „Wir haben Wind gesät“. Hier widmen sich City der Ambivalenz der Menschheit: Wir könnten alle Probleme lösen – doch warum tun wir’s nicht? Die Fans, die in das „Wohowohowohowo“ einstimmen, wiegen sich zu Zeilen, in denen Krahl darüber singt, dass wir auf die Welt pfeifen, die Flüsse austrocknen lassen, unsere Vorurteile füttern und uns für dumm verkaufen lassen. Die Zerrissenheit geht im wohligen Schunkeln unter, das Publikum tanzt quasi zum eigenen Untergang – was für ein stimmiges Bild!
Einfacher gestrickt waren jene frühen Songs, die noch von Toni Krahl selbst getextet worden waren. Zum Medley „Unheimlich Heiß/ Kind vom Prenzlauer Berg/ Meister aller Klassen“ lassen Gaststar Uwe Hassbecker und Fritz Puppel die Gitarren heulen und erinnern an längst vergangene Zeiten, als die Jungs noch mit Mopeds und Motorrädern durch Prenzlauer Berg brausten.
Toni Krahl betont, dass sie damals noch so lange Haare trugen wie heute Hassbecker. Später traten sie unter dem Motto „Ohne Bass und ohne Haare – mit City durch die 80er-Jahre“ an – und ihre Glatzen haben sie zugleich alterslos gemacht. Aus der Ferne sehen sie immer noch so aus wie vor 40 Jahren. Selbst ihr Tourdrummer Roger Heinrich hat sich die Haare kahl geschoren wie einst Klaus Selmke, dem die Band das Abschiedslied „War gut“ widmet.

Nach dem donnernden Auftakt sorgen Balladen für etwas Beruhigung. Ihre beiden Cover-Songs sind politisch geblieben. „Sag mir, wo die Blumen sind“ wurde anno 1983/84 von den DDR-Offiziellen als pazifistisch kritisiert – und ihre Vorstellung im Kulturhaus der Nationalen Volksarmee war damals eine Provokation. Da flogen die Mützen der grauen NVA-Ausgehuniform durch den Saal! Heute fotografiert sich ein Pärchen im Saal mit Selfie-Grinsen – als wäre es eine Liebesballade. Auch das Stück „Sind so kleine Hände“ ist aktuell geblieben. Toni Krahl, der 1968 nach Protesten gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings wie Bettina Wegner inhaftiert worden war, betont, sie hätte das Lied auch vor 14 Tagen geschrieben haben können.
Henry Hübchen war der Überraschungsgast beim letzten Konzert von City
Rockmusik mit Haltung sei Teil ihrer DNA, haben City stets erklärt. Zum Abschied bittet Toni Krahl ihren „Dichter und Denker“ auf die Bühne: Alfred Roesler-Kleint der beim DDR-Fernsehen ausstieg und nach der Wende als Chefredakteur zurückkehrte, hat seit dem Album „Casablanca“ die prägenden Texte beigesteuert. „Wand an Wand“ und die große Berlin-Hymne „Z.B. Susann“ werden aufgeführt – mit ganz großer Besetzung: Mit den Berliner Symphonikern im Rücken, mit Uwe Hassbecker an der Gitarre, dem Silly-Kollegen Ritchie Barton am Keyboard und dem Cellisten Tobias Unterberg am Cello. Da bebt die Halle! Ein gefeierter Überraschungsgast ist jener Schauspieler, der Krahl anno 1967 die erste Gitarre verkaufte und der den Titel-Hit „Casablanca“ komponierte: Henry Hübchen singt seinen Song derart ausdrucksstark, dass Toni Krahl hinterher gestehen muss: „Ausgerechnet auf meinem letzten Konzert werde ich von einem anderen Sänger so abgekocht!“
Die einzige Zugabe ist jenem Stück vorbehalten, das City auch international bekannt gemacht hat, das wohl die größte Ostrock-Ballade geblieben ist – und das auf unseren Schuldiscos Ende der 1970er-Jahre mit Queens „We Will Rock You“ konkurrierte. Georgi Gogow, „Des Teufels erster Geiger“, fiedelt und zupft das Intro von „Am Fenster“ so beseelt wie immer. Doch zum Abschied bekommt er Verstärkung von allen Seiten: Die Streicher der Symphoniker, Tobias Unterberg am Cello und vor allem Uwe Hassbecker mit seiner Geige zelebrieren den Song wie in einem Rausch und heben ab. „Flieg ich durch die Welt“ heißt die allerletzte Zeile. „Am Fenster“ wird weiter gespielt werden, von wem auch immer, wo auch immer.
