Zur Schule in Seoul: Deutsche ziehen nach Südkorea, um K-Pop-Profi zu werden

Seit Jahren boomt K-Pop weltweit. Damit das auch so bleibt, wird in Südkorea gezielt Nachwuchs produziert. Auch Deutsche lassen sich in Asien für die Bühne ausbilden.

Auftritt bei der Eröffnungszeremonie der Fußball-WM in Katar: Auch BTS-Star Jung Kook hat die School of Performing Arts absolviert.
Auftritt bei der Eröffnungszeremonie der Fußball-WM in Katar: Auch BTS-Star Jung Kook hat die School of Performing Arts absolviert.Imago/Kyodo News

Es ist kurz nach neun Uhr morgens, im Klassenzimmer tost der Applaus. Der Jubel gilt denjenigen, die eben noch vor den in L-Form aufgestellten Tischen gesungen und getanzt haben. Und weil in diesem Raum mit durch Schaumstoff abgedichteten Wänden ein satter Sound herrscht, klingen die Lieder von Stevie Wonder, die die Schülerinnen und Schüler über die vergangenen Wochen einstudiert haben und jetzt nacheinander vortragen, fast schon wie eine Studioversion.

Zu den Teenagern, die da an einem ganz normalen Schulvormittag singen und im Takt klatschen, gehört die Kölnerin Aurelia von Blumröder. Und fragt man die 16-Jährige, was sie mal werden will, lautet die Antwort ohne Zögern: „Ich glaub schon Sängerin oder Singer-Songwriter.“ Dafür sei sie schließlich vor einem guten Jahr hierhergezogen: nach Seoul, in die Hauptstadt von Südkorea und der seit Jahren weltweit boomenden Popmusik.

Aurelia von Blumröder ist wie viele Gleichaltrige selbst K-Pop-Fan und lässt sich an dieser Schule im Südosten des Stadtzentrums quasi zum Star ausbilden. Dies sei nur hier möglich, sagt sie nach der ersten Stunde auf dem Weg zu ihrem Spind: „In Deutschland gibt es weniger Möglichkeiten, was mit Popmusik zu machen. Ich wollte mehr über Musik insgesamt lernen, also auch über Theorie.“ Und als Aurelia am Computer ihres Elternhauses sah, dass diese bekannte gelbe Uniform, in der K-Popstars häufig posieren, von dieser Schule kommt, fragte sie ihre Eltern, ob sie sich bewerben dürfe.

Träumen von der großen Musikkarriere: Aurelia von Blumröder (li.) und ihre Mitschüler.
Träumen von der großen Musikkarriere: Aurelia von Blumröder (li.) und ihre Mitschüler.Felix Lill

Die School of Performing Arts, kurz SOPA, ist auch deshalb besonders, weil sie einmal mehr zeigt, wie riesig die K-Pop-Industrie mittlerweile geworden ist. Seit 2009 ist SOPA nach eigenen Angaben das erste reguläre Gymnasium in Südkorea, das auch für eine Karriere auf der Bühne ausbildet. „Unser Lehrplan beinhaltet alles, was der Staat vorgibt, damit unsere Absolventen mit dem Abschluss an die Universität gehen können“, erklärt Schuldirektor Lim Ho-seong. „Darüber hinaus bilden wir je nach Spezialisierung auch künstlerisch aus, damit es für eine Musikkarriere reichen kann.“

Singen, rappen, tanzen: anspruchsvoller Lehrplan

K-Pop sei anspruchsvoller als andere Musikwelten, deutet der Schuldirektor an. „Bei K-Pop geht es ja ums Gesamtpaket. Die Darsteller können sehr gut singen, rappen, tanzen, sind also quasi komplett. Die Musik speist sich außerdem aus ganz verschiedenen Genres.“ Insofern versteht man sich an dieser Schule als Äquivalent zu einem Sportgymnasium, das Spitzentalenten in Leichtathletik oder Fußball eine zweigleisige Ausbildung ermöglichen will. Denn wie im Sport sei auch im K-Pop die Konkurrenz heutzutage so groß, dass Talent allein für den Erfolg nicht mehr ausreiche.

„Der Boom wird weitergehen“: Schulleiter Lim Ho-seong.
„Der Boom wird weitergehen“: Schulleiter Lim Ho-seong.Felix Lill

So hat Aurelia von Blumröder – Tochter eines deutschen Vaters und einer koreanischen Mutter – jede Woche auch Unterricht in Gehörbildung, Stimmschulung und Musikgeschichte. Auf diese Weise, sagt man hier, wurden etwa die Abgänger Jung Kook von BTS und Sehun von Exo zu dem, was sie heute sind: K-Popstars. Wobei Aurelia zugibt, dass diejenigen, die schon gut im Geschäft sind, auch mal eine Extrabehandlung erhalten.

Die Schülerin muss grinsen, wenn sie erzählt, wie einige Jungstars morgens mit dem Taxi vorm Eingangstor der Schule abgesetzt und kurz darauf auch schon wieder abgeholt werden. „Es gibt im Moment auch sehr viele Berühmte, die ich morgens sehe. Die kommen, dann kriegen die einen Haken auf der Anwesenheitsliste, und bevor der Unterricht beginnt, gehen die halt wieder.“ Die Sache mit der Anwesenheit sei ein Stück weit flexibel. „Es gibt halt eine bestimmte Anzahl an Schultagen im Jahr, die man absolvieren muss.“

Denn wer die Aufnahmeprüfung zu dieser Schule bestanden und die rund 8000 Euro Jahresgebühr bezahlt hat, der hat schon einen ersten wichtigen Schritt zum Ruhm getan. Aurelia erzählt, dass es oft genüge, auf sozialen Medien ein paar Fotos von sich in der berühmten gelben Strickjacke hochzuladen, die zur Uniform gehört. Schon dann würden Nachrichten von Agenturen eintreffen, die mit den Schülerinnen und Schülern von SOPA in Kontakt treten wollen. „Ist oft so“, sagt Aurelia beim Mittagessen in der Mensa.

Aurelia wurde auch schon von einer Agentur kontaktiert, habe dabei aber kein gutes Gefühl gehabt. Immerhin ist K-Pop nicht nur für nahezu perfekt produzierte Musik bekannt, sondern fällt auch immer mal wieder durch die harten Lebens- und Arbeitsbedingungen auf. Die Schattenseiten des Geschäfts sind gut dokumentiert. Oft werden Talente schon als Kinder gecastet und dann von den Entertainmentagenturen genau in ihrer Entwicklung verfolgt und bewacht.

Wer ein Star wird, darf sich keine Fehltritte erlauben

Wer dann ein Star ist, darf sich keine Fehltritte erlauben – wozu Drogenkonsum genauso zählt wie eine Liebesbeziehung. Nicht jeder Heranwachsende hält dem stand. Über die letzten Jahre wurden mehrere bekannte Darsteller zu Gefängnisstrafen wegen Zuhälterei oder Vergewaltigung verurteilt, andere schieden offenbar mit Selbstmord aus dem Leben. Auch in koreanischen Medien werden solche Fälle mitunter damit erklärt, dass den jungen Stars ein normales Jugendleben fehle, wenngleich sie in ihren Songs oft vom glitzernden Leben singen.

Es geht um sehr viel Geld. Eine Studie des Hyundai Research Institute schätzte den Beitrag, den allein die beliebteste K-Pop-Gruppe BTS zur südkoreanischen Volkswirtschaft leistet, auf rund 3,5 Milliarden US-Dollar, zuzüglich indirekter Effekte von 1,26 Milliarden Dollar. Jeder 13. Auslandstourist, der nach Südkorea reist, soll wegen der Liebe zu BTS gekommen sein. Südkoreas Softpower, also eine Art Markenidentität des Landes mit weltweitem Wiedererkennungswert und daraus hergeleitetem weltpolitischen Gewicht, ist wohl durch nichts so gestiegen wie durch K-Pop.

Starkult: Zum Geburtstag des BTS-Mitglieds V haben Fans im Dezember in Seoul LED-Werbetafeln bespielt.
Starkult: Zum Geburtstag des BTS-Mitglieds V haben Fans im Dezember in Seoul LED-Werbetafeln bespielt.Imago/Aflo

Aurelia will den Schritt zu einer Agentur mit Bedacht gehen. Auch deshalb, weil sie sich erst noch weiter auf die Schule konzentrieren und musikalisch besser ausbilden lassen will. Ein Leben weit weg von ihren Eltern und Freunden daheim nimmt sie dafür in Kauf. Abends bleibt die 16-Jährige, wie andere auch, oft bis neun Uhr in der Schule, um noch zu üben und sich auch dem regulären Schulstoff zu widmen.

Die Kölnerin wohnt bei einer Freundin, in einem Zimmer, das kleiner ist als das in ihrem Elternhaus. Aber das macht ihr nichts aus: „Ich bin definitiv selbständiger geworden. Jetzt kann ich auch allein sein. Am Anfang habe ich meine Eltern schon sehr vermisst. Aber jetzt geht es.“ Ob Aurelia eine große Karriere hinlegt, steht derzeit genauso in den Sternen wie die Frage, ob K-Pop auch in ein paar Jahren noch weltweit beliebt sein wird.

Schuldirektor Lim Ho-seong gibt sich zuversichtlich: „Früher standen Musik und Schule eher in Konkurrenz zueinander. Deswegen haben viele Eltern die Träume ihrer Kinder nicht unterstützt. Jetzt aber stehen mehr Eltern hinter ihren Kindern, wenn die Musikkarrieren anstreben.“

Deswegen werde K-Pop in Zukunft noch mehr große Persönlichkeiten hervorbringen. „Die Musik wird sich weiterentwickeln, und der Boom wird weitergehen“, glaubt der Direktor. Zumal SOPA zwar die bekannteste Schule ist, die explizit für K-Pop ausbildet – aber längst nicht mehr die einzige.