Katharsis zum Jahrestag: Die ukrainische Band Go_A im Columbia Theater

Am Jahrestag des russischen Angriffskriegs spielte die ukrainische Band Go_A ihr erstes Konzert in Berlin. Ein Abend der Solidarität, der Freude und der Tränen.

Die ukrainische Band Go_A auf der Bühne des Columbia Theaters (links nach rechts: Ivan Hryhoriak, Taras Shevchenko, Kateryna Pavlenko, Ihor Didenchuk)
Die ukrainische Band Go_A auf der Bühne des Columbia Theaters (links nach rechts: Ivan Hryhoriak, Taras Shevchenko, Kateryna Pavlenko, Ihor Didenchuk)Elizabeth Rushton

Als ich das erste Mal ein Konzert der ukrainischen Folk-Techno-Band Go_A besuchte, war die Welt gefühlt eine andere. Es war in Kiew, Oktober 2021, 2 Uhr morgens in einem winzigen Club in einem Hinterhofkeller im Szeneviertel Podil. Die Beats der Band waren ebenso ansteckend wie die Begeisterung, mit der ihr junges Publikum, viele in ukrainischer Kleidung, diese Kombination aus nationaler Volkstradition und modernen Klängen aufnahm.

Wahrscheinlich hätte niemand in diesem kleinen Raum geahnt, dass sich die Ukraine nur vier Monate später in einem von Russland geführten Angriffskrieg verteidigen müsste. Go_A spielt gerade eine kleine Konzertreihe in Deutschland, die vom April 2022 aufgrund des Krieges verschoben wurde. Wie das Schicksal es wollte, fiel der Berliner Termin auf den 24. Februar 2023 – den Jahrestag des russischen Überfalls auf die gesamte Ukraine.

Dass die Traditionen der ukrainischen Kultur und Musik von so hoher Bedeutung für dieses Publikum seien, schrieb ich damals, stehe unmittelbar in Zusammenhang mit dem damals fast acht Jahre andauernden Krieg mit Russland im Donbass. Schon Ende 2021 waren die folkloristischen Flötenlicks des Multiinstrumentalisten der Gruppe, Ihor Didenchuk, ein Zeichen des Widerstands gegen die russische Aggression. Kein Wunder also, dass so viele unbedingt an diesem Tag im Columbia Theater dabei sein wollten.

Viele im Publikum kamen direkt von der Demo zum Jahrestag

Eine Stimmung der Solidarität ist im Raum spürbar, bevor auch nur eine Note gespielt wird. Eine ukrainische Flagge hängt an den DJ-Decks des Produzenten Taras Shevchenko, der den gleichen Namen wie der ukrainische Nationaldichter trägt. Im Publikum tragen viele Wyschywankas, die traditionellen bestickten Hemden der Ukraine, und ukrainische Fahnen oder haben kleine Flaggen auf ihre Wangen gemalt. Viele kamen direkt von der großen Demo vor dem Brandenburger Tor zum Jahrestag. Andere, die Go_A von ihrem Auftritt für die Ukraine beim ESC 2021 kennen, wo sie den vierten Platz belegten, tragen blaue und gelbe Bänder an ihren Jacken.

Die Sängerin der Gruppe, Kateryna Pavlenko, erklärt dem Publikum auf Englisch, wie Themen in Go_As Liedern wie der Frühling und die Sonne eine Verbindung zu den Ursprüngen der ukrainischen Volkskultur aufrechterhalten. Die Themen werden absolut tanzbar umgesetzt: „Vesnianka“ – benannt nach einem ukrainischen Frühlingstanz – hat einen harten Drum-and-Bass-Sound, der viele zum Headbangen bringt. Im Lied „Nebo v dolonyakh“ (deutsch: Der Himmel in den Händen) führt Ihor Didenchuk die Menge beim Pogo-Tanzen zu pulsierenden Synths wie aus einem Dance-Track der 90er-Jahre.

Andere Songs, wie „Solovey“ (Nachtigall) oder „Rusalochki“ (Meerjungfrauen), enthalten auch ruhigere Momente, die Pavlenkos atemberaubende Stimme in den Mittelpunkt rücken. Sie singt im traditionellen Stil des „weißen Gesangs“, der sowohl in der Ukraine als auch in Polen und Belarus beheimatet ist. Er ist oft hoch, voller Stimmverbiegungen und absolut fesselnd.

Dass das Konzert auf den Jahrestag der russischen Invasion fällt, lässt die Band nicht unkommentiert. „Auf dieser Bühne sollte es nicht um Politik gehen – aber heute geht es um unser Leben“, sagt Kateryna Pavlenko früh im Konzert. „Vor einem Jahr hat sich unser Leben verändert.“ In solchen schmerzvollen Zeiten für die Ukraine sei es oft schwer, sagt sie, mit Freude auf die Bühne zu treten – aber sie dankt dem Publikum für seine Unterstützung. „Wir spüren die Kraft in uns und wir werden gewinnen.“ Später fügt sie zwischen zwei Songs hinzu: „Bevor wir anfangen, muss ich kurz sagen: Russland ist ein Terrorstaat.“ Das Publikum jubelt und applaudiert.

Für einen Moment vergisst man den Krieg

Als die Gruppe zum zweiten Mal ihren ESC-Song „Shum“ spielt, lädt Pavlenko alle ein, sich mit ihren Publikumsnachbarn an den Händen zu nehmen, kleine Kreise zu bilden und sich im Takt der Musik zu drehen – so wie es eine Gruppe junger Kiewer bei ihrem Konzert in dem winzigen Underground-Club im Jahr 2021 spontan getan hat. Kurz vor dem Höhepunkt des Liedes fordert Pavlenko alle auf, sich auf den Boden zu hocken und die Augen zu schließen. „Unser Leben besteht aus Momenten, die für uns da sind, um sie zu genießen“, sagt sie. „Dies ist ein solcher Moment. Seid ihr bereit für einen Rave?“ Der Beat startet, die Menge springt auf und tobt. Es ist ein solch feierlicher Moment, der einen vergessen lässt, was draußen vor sich geht – vielleicht sogar, dass es überhaupt einen Krieg gibt.

Zum Ende des Konzerts singt die Band die Nationalhymne der Ukraine und spielt dann zum zweiten Mal ihren Song „Kalyna“. Das Lied war die erste Single, die die Gruppe nach Beginn des Krieges veröffentlichte, und ist nach der roten Vibernum, einem nationalen Symbol der Ukraine, benannt. Am Jahrestag hat es eine kathartische Wirkung. „Wachse, meine liebe Kalyna“, singt Pavlenko. „Und ich werde deine kleinen roten Beeren sammeln.“ Als die Lichter am Ende des Liedes angehen, wischen sich einige im Publikum die Tränen weg.

Nach dem Konzert kommt die Band zurück in den Saal des Columbia Theaters, um ihre Fans zu treffen. Freunde aus der Ukraine sind auch da, es gibt große Umarmungen. Vor allem Kateryna Pavlenko wird von ukrainischen Teenagern umringt. Ein Mädchen nach dem anderen kommt auf sie zu, bittet sie, deren Ticket oder ukrainische Flagge zu signieren – und erzählt ihr, wie viel es ihr bedeutet, die Band in Berlin zu sehen, wie diese Musik ihr im letzten Jahr einen Draht zum Heimatland gegeben hat. Pavlenko hört jedem einzelnen aufmerksam zu, umarmt die Gäste und sagt: „Все буде класно“ – „Alles wird super“. Jeder, der bei diesem Konzert dabei war, ist geneigt, ihr zu glauben.