Bigottes Ultimatum gegen Gergiev: Ist Musik unpolitisch?

Zwei russische Dirigenten, die auf verschiedenen Seiten stehen. Petrenko verurteilt den Überfall auf die Ukraine, Gergiev schweigt trotz Ultimatum.

Der Dirigent Valery Gergiev wird 2013 als Held Russlands mit einem Orden aus den Händen von Wladimir Putin ausgezeichnet.
Der Dirigent Valery Gergiev wird 2013 als Held Russlands mit einem Orden aus den Händen von Wladimir Putin ausgezeichnet.imago/ITAR-TASS

Dass Musik un- oder gar überpolitisch sei – das war der große Traum jener Dirigenten, die während des Nationalsozialismus in Deutschland ihre Karrieren vorantrieben: Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm oder Herbert von Karajan mussten sich nach dem Krieg Fragen gefallen lassen. Musik steht, schon weil sie öffentlich stattfindet und öffentlich finanziert wird, in politischen Zusammenhängen, daher kann sie nicht unpolitisch sein.

Daher halten sich die Institutionen jetzt nicht zurück. Der philharmonische Chefdirigent Kirill Petrenko, der als Kind mit seinen Eltern vor dem Antisemitismus in seiner  Heimat Russland floh, erklärt: „Der heimtückische und völkerrechtswidrige Angriff Putins auf die Ukraine ist ein Messer in den Rücken der ganzen friedlichen Welt. Es ist auch ein Angriff auf die Kunst, die bekanntlich über alle Grenzen hinaus verbindet. Ich bin zutiefst solidarisch mit all meinen ukrainischen Kolleginnen und Kollegen und kann nur hoffen, dass alle Künstlerinnen und Künstler für Freiheit, Souveränität und gegen die Aggression zusammenstehen werden.“

Das alte Ideal des überpolitischen Kunstwerks ist in der verrutschten Formulierung des über Grenzen „hinaus“ – statt „hinweg“ – verbindenden Kunstwerks erinnert. Petrenkos Hoffnung indes zerschellt an Künstlern, die sich mit Putins Regime zutiefst verbunden zeigen. Valery Gergiev, Chefdirigent des St. Petersburger Mariinsky-Theaters und der Münchner Philharmoniker, hat Putins Politik vom Kaukasus-Krieg über die Annexion der Krim bis zur Verurteilung homosexueller Beziehungen offen unterstützt. Das war für München kein Grund, ihn nicht zum Chefdirigenten zu machen; umstritten war es von Anfang an.

Statt das Publikum entscheiden zu lassen, ob es Gergiev weiterhin sehen will, versuchen der Münchner Oberbürgermeister und andere Kulturinstitute wie die Elbphilharmonie, ihn zu einem Bekenntnis für oder gegen den Krieg zu zwingen. Ob das dem kulturellen Repräsentanten einer lupenreinen Diktatur gegenüber sinnvoll ist, sei bezweifelt, es liegt indes im Trend unserer ambiguitätsfeindlichen, Meinungsfreiheit kaum noch ertragenden Kultur. Bigott ist es zudem, weil man die Problematik vorher schon kannte. Warum es erst eines Krieges bedarf, um sicher zu sein, dass Putin ein Verbrecher ist und Gergiev ein Problem, ist rätselhaft.