Bildungsbürgerliche YouTube-Party: „Lost in Loops“ von Nico and the Navigators

Arg reibungslos wollen Nico and the Navigators anlässlich ihres 25. Jubiläums mit ihrer „Lost in Loops“-Performance im Konzerthaus zum Rausch kommen. 

„Lost in Loops“ von Nico and the Navigators im Konzerthaus
„Lost in Loops“ von Nico and the Navigators im KonzerthausDieter Hartwig

Nico and the Navigators haben sich 1998 in Dessau gegründet, groß und wichtig wurden sie in den frühen Nullerjahren an den Berliner Sophiensælen, sie sind also Teil einer Off-Theater-Generation, die heute fester Bestandteil der deutschen Kulturlandschaft ist: She She Pop, Rimini Protokoll. Theater neu gedacht. Früh ging die Truppe um Nicola Hümpel in Dialog mit Musik, vor allem klassischer Musik. Oper und Off, das kann doch gehen.

Angemessen daher: den 25. Geburtstag mit einer besonderen Produktion zu feiern – im Konzerthaus, gemeinsam mit dem Konzerthausorchester. Das hat natürlich, denken sich die Navigators, erhebliches Clash-Potenzial. Sagt zumindest die Programmheftprosa, die „Lost in Loops“ als großen Rausch ohne Sicherheitsnetz vorstellt: „Dass zwischen Richard Wagner und den Beatles alles möglich scheint und nichts sicher ist, sorgt dabei für kalkulierten Kontrollverlust: Ist das noch wirbelnder Aufwind oder schon strudelnder Absturz?“

Oder, dritte Option: halt doch die gleiche behauptet experimentelle Konstellation, mit der mittlerweile auch altehrwürdige Institutionen der klassischen Musik hausieren gehen, von Beethovenfest bis Ludwigsburger Schlossfestspiele? Letztere geleitet mittlerweile von Jochen Sandig, unter anderem Gründer des Radialsystems, an dessen Haus Nico and the Navigators regelmäßig arbeiten. Es drängt sich auf, dass da eine Generation Kunstmusik einem digitalisierten Hör-Alltag hinterherrennt, der das fröhliche Nebeneinander von getragener Spätromantik, wirrem Experiment und queerem Pop längst kaum vermeiden lässt.

Das Programm des „Lost in Loops“-Abends – Richard Strauss, Rolling Stones, Philip Glass, Schostakowitsch – liest sich entsprechend (auch in der Frauenquote) wie eine bildungsbürgerliche YouTube-Party nachts um halb eins. Was ja total in Ordnung geht, wenn es ansprechend performt wird. Und da hat der Abend erhebliche Schwächen. Die sind, das vorweg, nicht musikalischer Art; das Konzerthausorchester ist ein beeindruckender Klangkörper, die Band der Navigators gleichermaßen fit, und insbesondere die drei Gesangssolisten Peyee Chen, Ted Schmitz und Nikolay Borchev sind Höhepunkte des Abends.

Das Konzept, eher für die Kameras des Livevideobildes zu performen als direkt das Publikum zu adressieren, sorgt für produktive Entfremdung und die eigenständige Ästhetik der Truppe. Durchwachsen hingegen sind die tänzerischen Parts, die kollektiven Spielszenen oft nah am Cringe; die Texte sind spärlich gesät und ertrinken teilweise im Wagner – selten wachsen die Navigators und das Orchester wirklich zusammen, und es ist eher das Konzerthausorchester, das dabei verzwergt, als dass es das Ensemble emporhebt.

Das Ensemble ist derweil ja auch damit beschäftigt, die fatale Idee zu bespielen, eine Windmaschine auf der Bühne installiert zu haben, was für offensiv seichte Momente sorgt, wenn zu schwach dargestellter Verwirrung fliegende Notenblätter über die Bühne gejagt werden oder, allen Ernstes, eine Plastiktüte melancholisch zu schweben beginnt als Metapher für mutmaßlich Vergänglichkeit, Drogen oder Leben; es ist an diesem Punkt klar, dass der behauptete Kontrollverlust eher das Fehlen eines stringenten Diskurses übertüncht.

Das Publikum nimmt derlei Unterforderung allerdings auch dankbar an, lacht sich scheckig, wenn bei der Performance des Songs „Beauty“ der Indie-Pop-Band The Shivers zur Zeile „I’m making you my wife“ ein Mann adressiert, bei „Here Comes the Sun“ der Beatles mitgeklatscht oder als Ekstasemarker Breakdance getanzt wird. Ein guter Rausch schaltet das Hirn nicht ab, sondern erzeugt Reibung, kratzt das Hirn an Stellen, an die man nüchtern nicht hinkommt. Rausch ist eine Herausforderung. Wer schon um die Jahrtausendwende in Berlin-Mitte Kultur gemacht hat, sollte das eigentlich wissen.