Die Kinderoper „Tom Sawyer“ an der Komischen Oper: Battle-Rap am Mississippi

Die Kinderoper „Tom Sawyer“ an der Komischen Oper Berlin verdient großen Respekt. In etwa 100 Minuten wird aus fünf Songs ein Drama.

„Tom Sawyer“ an der Komischen Oper mit Tom Schimon in der Titelrolle
„Tom Sawyer“ an der Komischen Oper mit Tom Schimon in der TitelrolleBarbara Braun

Kurz vor seinem frühen Tod plante Kurt Weill ein Musical über Mark Twains „Tom Sawyer“. Am Text saßen hochkarätige Fachkräfte: Der Dramatiker Maxwell Anderson sollte das dramatische Szenario schreiben, Ira Gershwin die Songtexte. Fünf Songs konnte Weill noch komponieren, dann starb er.

An der Komischen Oper hat man sich nun dieser Fragmente angenommen: John von Düffel schrieb das Stück und zusammen mit dem Komponisten und Arrangeur Kai Tietje die Songtexte. Tietje wiederum erschuf aus dem Material von Weills Songs und anderen Stücken seiner Broadway-Zeit die Partitur einer neuen Kinderoper, die am Sonnabend vorgestellt wurde.

Diese Arbeit verdient großen Respekt. In etwa 100 Minuten wird aus fünf Songs ein Drama, aufgehängt an den Ereignissen um Killer-Joe, der dem Trunkenbold Muff Potter einen Mord in die Schuhe schieben möchte, den er selber begangen hat – aber Tom Sawyer und Huckleberry Finn waren Zeugen von Killer-Joes Untat und trauen sich auch am Ende, dies dem Richter zu erzählen, um Muff vor dem Galgen zu retten.

Es bleibt in „Tom Sawyer“ Raum für die bekannten Episoden

Das wird straff erzählt, aber nicht zu straff. Es bleibt Raum für die bekannten Episoden. So wird die Geschichte mit dem Gartenzaun erzählt, in der Tom nicht nur „Angestellte“ findet, die ihm die Strafarbeit des Streichens abnehmen, sondern sich auch noch von seinen Arbeitern bezahlen lässt. Auch für Toms Werben um Becky samt dem Herzschmerz seiner ersten „Verlobten“ Amy und einem sehr lustigen Eifersuchtsduett ist Raum.

Was Tietjen aus Weills Material gemacht hat, ist keine Songfolge, sondern eine musikalisch fast durchgängig fließende Hybridform. Da klingen immer wieder Songs an, aber kaum gibt es mehr als eine Strophe. Ein Musical wirkt vergleichsweise langsam dagegen, und man fragt sich, ob man sich hier von neueren Studien zu Aufmerksamkeitsspannen von Kindern hat unter Druck setzen lassen. Um dem jungen Publikum entgegenzukommen, haben von Düffel und Tietje auch einen kleinen Battle-Rap eingebaut zwischen Tom und dem Schulstreber Alfred Temple – beeindruckend, wie sich das mit Weills Songmaterial bewerkstelligen lässt. Es ist übrigens keine allzu unverwechselbare Musik; der Weill der Berliner Zeit war zweifellos origineller.

Gruselig wird es in der Mordszene auf dem nächtlichen Friedhof, auf dem eine Begräbniskapelle mit Horn, Posaune und Sousaphon vorbeizieht – das vielleicht achtjährige Mädchen in der Reihe vor mir schien sich hier durchaus zu fürchten, und hinter mir fragte ein Junge nach dem Mord: „Hat der ihn wirklich umgebracht?“ Starke Nerven sollten die Kinder mitbringen – oder wenigstens die Eltern, um ihre Kinder zu beruhigen.

„Tom Sawyer“ an der Komischen Oper ist ziemlich laut

Man muss auch sagen: Die Sache ist ziemlich laut. Wer es gewohnt ist, sich auch auf ruhigere szenische Darstellungen zu konzentrieren, wird es anstrengend finden, in welchem Tempo und mit welcher Lautstärke das Stück immer wieder auf sich aufmerksam macht.

Die Darsteller finden aber eine gute Balance zwischen animierender und charakterisierender Darstellung: Tom Schimon in der Titelrolle ist eher der emotionale Typ mit erstaunlicher Schlagfertigkeit, während Michael Heller der Untätigkeit Huckleberry Finns philosophische Würde verleiht. Josefine Mindus gibt Becky maßvoll emanzipatorische Görenhaftigkeit und zugleich die Weihen der höheren Südstaaten-Tochter. Bühnenbild und Kostüme von Stefan Rieckhoff sind schlüssig, stimmungsvoll und überraschungsfrei, wie auch die Inszenierung von Tobias Ribitzki. Am Ende großer Beifall für eine runde, unkontroverse Aufführung, die sich mit dem, was zuweilen an Twains Vorlage als rassistisch verdächtigt wird, nicht belasten will.