Dua Lipa in Berlin: Souverän navigiert sie das Disco-Patchwork

Dua Lipas Konzert in der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof ist Teil der Tournee, mit der sie endlich das Erscheinen ihres zweiten Albums „Future Nostalgia“ feiert.

Dua Lipa bei ihrem Konzert in Berlin
Dua Lipa bei ihrem Konzert in BerlinRoland Owsnitzki

Das Werbe-Messaging in der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof wird ja auch immer komplexer. Nachdem hier am Dienstagabend im Vorprogramm der britischen Kosovarin Dua Lipa die britische Sängerin Griff die verlässlich schrottige Akustik des Raumes mit allerlei Achtzigeranleihen gefüttert und sogar Whitney Houston gecovert hatte, erschien die Protagonistin des Abends zunächst auf Leinwänden als Werbeträgerin der Duftmarke „Liberty“ von Yves Saint Laurent, während gleichzeitig elektronische Banner auf künftige Veranstaltungen aufmerksam machten, so etwa den Auftritt der Band Simply Red: „Sie spielen eine Mischung aus Reggae, Funk, Pop und Soul“.

Funk, Soul und Pop schon, aber an Reggae kann ich mich bei Simply Red gar nicht erinnern. Vielleicht hat da jemand Simply Red mit UB40 verwechselt, dachte man da noch, während Modewerbungen sowie ein Mercedes-Benz-Clip gleichzeitig über diverse Leinwände liefen und schließlich der Event „Paw Patrol Live“ angekündigt wurde, wobei wiederum auffiel, dass die Kundschaft am heutigen Abend altersmäßig zwar noch näher an der Ziel-Crowd jenes Events lag als an der von Simply Red, aber über die Jahre nicht zuletzt dank Dua Lipa schon an Funk-, Pop- und Soulhits über guten Sex und schlechte Boyfriends heransozialisiert worden ist.

Dua Lipa: selbstbestimmt im pinken Minimalkostüm

Damit angefüllt und in ein stattliches Disco-Gewand gekleidet ist bekanntlich  Dua Lipas zweites Album „Future Nostalgia“, dessen Erscheinen zu Beginn der Pandemie sie nun endlich auf einer Tournee durch die Mehrzweckhallen des Planeten feiert. Am Dienstagabend ließ sich feststellen, dass sie zu der Sorte Künstlerinnen gehört, denen es gelingt, inmitten einer allumfassenden Vermarktungsordnung wie eine selbstbestimmte Person zu wirken. Nicht jede oder jeder kann sich in ein pinkes Minimalkostüm zwängen, von rollschuhfahrenden Tänzern umgarnen oder einem riesigen Plastikhummer bedrohen lassen und dabei trotzdem Souveränität ausstrahlen.

Dua Lipa kann es. Und der Schlüssel zum Wie liegt natürlich einerseits in ihrer Stimmgewalt, gleich zu Beginn im an Olivia Newton-John anlehnenden Elektropop-Hit „Physical“ in aller rauen Aufforderungsmacht präsent, und andererseits in ihrer selbstbewussten Bewegungsimperfektion. So standen sie und ihre Tänzerinnen und Tänzer im Eröffnungsstück hinter einer Art Geländer, unter dem sie sich dann durchbückte wie ein Kind unter einem Holzgatter zur verbotenen Kuhwiese – was für eine tolle Bewegung. Sie musste da halt durch, und es war ihr vollkommen egal, ob das nun elegant aussah oder nicht.

Etwaige Integritätszweifel wurden also früh ausgeräumt, und dann kamen die Hits. Gleich als zweites Stück performten Lipa, Band und Tanztruppe ihre Durchbruchsingle „New Rules“, bei der Regenschirme eine wichtige Rolle spielten und schlussendlich wie ein brechreizerregendes Kirmes-Fahrgeschäft um Lipa herumfuhren. In „Cool“ erklangen cool synkopierte Achtzigerklänge, während „Good in Bed“ trotz seiner Scherz-Jazzhaftigkeit Lipa als Vamp-Figur erscheinen ließ. Auf dem Laufsteg liegend sang sie recht autoritär einen – vielleicht imaginären – Mann im Publikum an: Sie nervten sich zwar gegenseitig, aber das mache sie zusammen so gut im Bett.

„Future Nostalgia“: eine tanzbare Marketing-Maschine

Selbst den Zeitpunkt, an dem gesagt werden musste, es sei sehr erfreulich und aufregend, heute Abend hier in Berlin zu sein, gestaltete Lipa charmant, indem sie erzählte, Berlin habe für immer einen besonderen Platz in ihrem Herzen. Denn hier habe sie ihr erstes Label-Showcase absolvieren müssen und sich vor Angst im Klo eingeschlossen. Dann sang sie das R’n’B-Stück „Be The One“ von ihrem Debütalbum, und das Publikum absolvierte den obligatorischen Mitsing-Teil recht ordentlich.

Das Zwingende an Dua Lipas Performance speist sich auch aus dem clever groovenden Disco-Patchwork ihres Produzententeams, egal ob im Stück „Love again“ mit der Verwendung eines in den Neunzigern populären Trompetensamples aus einem Stück von Lew Stone and the Monseigneur Band aus dem Jahr 1932 oder ob im Achtziger-Raprock-Klang des Titelstücks „Future Nostalgia“ oder im klassischen Siebzigersound des abschließenden Riesenhits „Don’t start now“.

In der Mehrzweckhalle navigierte Lipa diese sehr tanzbare Marketing-Maschine, als wäre das ein Morgenspaziergang. Das virtuelle Duett mit Elton John gegen Ende des Konzerts sowie die Konfettikanone zum Schluss wären da gar nicht notwendig gewesen.