Tom Schilling besucht die düstere andere Seite
Der Berliner Schauspieler bringt ein neues Album heraus: „Epithymia“. Das ist voll dunkler Sehnsucht. Einmal beweint er die Stadt Gera.

Der Beginn der Liedermacher-Karriere des Schauspielers Tom Schilling hing mit seiner Arbeit an dem Berlin-Film „Oh Boy“ zusammen. Damals lernte er Musiker kennen, mit denen er Lust hatte, etwas zusammen zu machen. Das waren die Jazz Kids, so hieß seine Band. Das gemeinsame Album erhielt viel Zuspruch, als es 2017 erschien. „Vilnius“ war es betitelt, hatte aber mit der litauischen Hauptstadt nicht wirklich zu tun, es gab darauf nicht einen Song dieses Namens. Aber die Jazz Kids haben ja auch keinen Jazz gespielt.
Tom Schilling bringt am Freitag ein neues Album heraus, und es heißt nicht „Gera“. Allerdings singt der vor vierzig Jahren in Berlin geborene und hier lebende Schauspieler nach eigenen Noten einen eigenen Text unter dem Songtitel „Gera“. Traurig in doppelter Weise klingt das, wenn ein ans Fenster gepresstes Kindergesicht nach den Eltern sucht und sie nicht findet, „in der einst stolzen Stadt“. Schlimm sieht es aus in dem Ort zwischen Jena und Zwickau: „Sie blutet aus. Seht ihr, seht ihr sie sterben? Alter Glanz in Scherben.“
„Epithymia“ beschreibt unstillbares Verlangen
Der Name der neuen Platte, „Epithymia“, ist eingängig nur für Leute, die in der griechischen Mythologie zu Hause sind. Die wissen, dass damit „Sehnsucht und das unstillbare Verlangen“ gemeint sind. Wer die Songs allerdings gehört hat, versteht den Titel mühelos, denn eine Sehnsucht nach Vertrautheit, Liebe – auch von Eltern –, nach einem anderen Zustand klingt durchgängig daraus, zuweilen flehentlich. Und dazu passt dann auch der neue Bandname Die andere Seite, der an den düsteren Roman von Alfred Kubin denken lässt.
In den Interviews zur Neuerscheinung spricht Tom Schilling von einer Krise, in der er die Songs geschrieben habe. Auch Kubins Roman entstand aus einer Krise heraus. Künstler haben die Möglichkeit, Ärger produktiv zu machen. Das herzhafte Gefluche „Aber das ist kein Liebeslied“ vom ersten Album unterstreicht eine Trennung so endgültig, dass man nicht mehr an Güterausgleich denken mag. Und der Schrei am Ende des „Lieds vom Ich“ löst Verspannung in Wut.