Marianne Rosenberg: „Ich bin auf jeden Fall eine Diva“
Sie gehört zu uns: Marianne Rosenberg, aufgewachsen in Neukölln, ist eine der großen Sängerinnen des Landes. Wir haben mit ihr sehr persönlich gesprochen.

Marianne Rosenberg hat mit „Diva“ ein Album aufgenommen, das ihren Disco-Göttinnen huldigt, von Grace Jones bis Gloria Gaynor. Wir wollten wissen, warum ihr das so wichtig war – und haben deshalb bei ihr angerufen. Ein Gespräch über den Philly-Sound, über Rio Reiser, Ronald Schernikau und Mr. Paul McCartney.
Frau Rosenberg, wie Disco fühlen Sie sich gerade?
Bei Disco denkt man immer schnell an die Vergangenheit. Aber Disco ist ja auch ein Grundstein selbst für Hip-Hop in der Gegenwart. Witzig, dass Disco lange versteckt im deutschen Schlager war – ohne dass den meisten das bewusst gewesen wäre. Vielleicht gibt das ja auch Aufschluss darüber, warum Disco heute noch so populär ist. Das waren Stücke, die mit bis zu 40 Mann Orchester aufgenommen wurden. Der Sound of Philadelphia! Die wurden von Philharmonikern eingespielt. Aber für die war das ganz ungewöhnlich, solche Linien zu spielen in so einer Geschwindigkeit. Ist ja klar!
Sie meinen also, dass in den späten 70ern im deutschen Schlager den meisten Leuten das nicht bekannt war, dass da Disco drin steckte bei Ihnen?
Nein, überhaupt nicht! Da waren Sie noch lange nicht geboren, also erzähl ich’s Ihnen: In den meisten Köpfen gab’s nur Schlager, Rock und Liedermacher in der leichten Muse.
„Ich war ziemlich fehlplatziert mit meinem Glamour“
Auf Ihrem neuesten Album, „Diva“ spielen Sie Disco-Klassiker auf Deutsch, aber auch Neueres, das Disco-Flair hat, Cher etwa. War das eine Zeitreise für Sie?
Ja, absolut! 2020 hatte ich 50-jähriges Jubiläum in diesem Business. Aber da konnte man wegen der Pandemie nicht auftreten. Das kam einem Arbeitsverbot gleich. Ich wurde mittendrin gestoppt. Ich hatte dieses Nummer-1-Album „Im Namen der Liebe“ und wollte gerade auf Tour gehen, doch das ging nicht. Also hab ich mich gefragt: Wie waren diese 50 Jahre? Und wie bin ich losgelaufen? Wo kam meine Stilistik her? Warum war sie so und nicht anders?
Und das hängt mit meinen Vorbildern zusammen: Diana Ross, Gloria Gaynor. Poster von denen hingen in meinem Teenagerzimmer an der Wand. Ich wollte so aussehen, wollte so auftreten, mit diesem Glamour, mit diesen High Heels, mit diesen Paillettenkleidern. Schauen Sie mal im Internet nach alten Bildern von mir! Ich war ziemlich deplatziert in manchen Sendungen. Da waren offene Hemdkragen angesagt, Kettchen und Jeans. Mit meinen Kleidern wurde ich da öfter weggeschickt und musste mit der Kostümdame neu einkaufen, damit ich in das Format reinpasste.
Sie wollten mehr Glamour. Und das „Diva“-Album ist eine Feier dieser glamourösen Frauen, korrekt?
Absolut! Das Album ist eine Verneigung vor diesen Frauen, ohne die ich nicht das wäre, was ich bin. Das waren Vorbilder für mich mit 15, 16 Jahren. Ich habe diese Musik rauf- und runtergehört. Songs wie „Never Can Say Goodbye“, den ich ja auch auf dem Album habe.
War das auch ein Wegträumen aus dem beengten West-Berlin heraus in die Weite der USA hinein?
Damals hätte ich es nicht so ausgedrückt. Dafür war ich noch zu jung. Aber mit 25 hätte ich vielleicht gesagt: Ja, das kann gut sein. Aber klar sucht man mit 15 nach Vorbildern. Gerade wenn man eine musische Begabung hat. Wo möchte man langgehen? Was findet man cool? In den Discos damals war keine deutsche Musik angesagt. Aber meine Songs wurden dort gespielt! Das war schon auffällig.
„Ich fühle mich in bester Gesellschaft mit Lady Gaga“
Haben Sie eine private Theorie, warum Sie in den Discos gespielt wurden?
Naja, weil meine Songs diese Grooves hatten. Weil die Disco waren. Weil die Sound of Philadelphia waren. Ich hatte junge, umtriebige Produzenten, die in der Szene unterwegs waren; die gerne tanzen gingen. Die haben mir diese damals modernen Sounds ins Studio gebracht. Für mich war das ganz toll! Da hat sich was getroffen. Wer war noch mal vor mir das Fräuleinwunder? Manuela! 60er-Jahre. Ich galt dann als das neue Teenage-Girl mit Zauberstimme.
Wenn Sie sagen „Szene“: Sie wurden und werden ja auch in der Gay-Community sehr gefeiert. Wie kam es dazu eigentlich?
Das haben mir die Produzenten in den frühen 1970ern schon gesagt bei meiner dritten Single: „Fremder Mann / Schau mich an / Du bist Schuld daran.“ Man sieht mich in einem weißen Chiffon-Kleidchen, und ich singe mit unglaublich hoher Stimme diesen Song. Ich weiß nicht genau, wie es zur Verehrung in der Gay-Community kam – aber ich fühle mich in bester Gesellschaft: von Liza Minelli über Barbra Streisand bis hin zu Lady Gaga. Das war jedenfalls ein sehr frühes Phänomen bei mir und blieb über die Jahrzehnte hinweg. Das ist wie ein Ritterschlag, wenn man sieht, in welcher Reihe man da mit welchen Frauen steht! Ja.
Sie haben gerade Ihre hohe Singstimme angesprochen. Wenn Sie sprechen, klingen Sie viel tiefer. Wie halten Sie diese hohe Stimme?
Naja. Im Klassikbereich hätte man mich schon lange aus dem Verkehr gezogen! Ist klar. Da kriegt man ja schon mit 30, 35 nicht mehr das hin, was man mal leisten konnte. Bei mir werden natürlich auch im Lauf der Jahre die Tonarten etwas heruntergesetzt. So hoch singen wie mit 14 kann ich nicht mehr. Das ist ganz normal.
Und noch mal zu den Schwulen: Wie war es eigentlich mit Ronald Schernikau, dem letzten Kommunisten, der kurz vor der Wende in die DDR zog? Sie beide haben ja ein Protestlied gegen den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan geschrieben: „Amerika“.
Im 80er-Jahre-Berlin hatte ich mit so vielen Künstlern zu tun, in Clubs, in Cafés. Ich hing auch mit Blixa Bargeld und mit Marian Gold von Alphaville rum. Man hat immer mal überlegt: Kann man was zusammen machen? So war es auch mit Ronald Schernikau. Es wimmelte nur so von den unterschiedlichsten Künstlern. Ich hab mich ja nicht an Grenzen gehalten. Ich hab mich mit allen getroffen, die ich interessant fand. Ich wollte nicht nur mit den Schlagerleuten zu schaffen haben. In meinem Bereich waren die eh alle zehn bis 15 Jahre älter. Ich war da so ein Küken.
„Ronald Schernikau und ich haben an Friedensdemos geglaubt“
Und Schernikau war ja auch ein Grenzgänger: galt als Intellektueller, aber wollte Schlagerstar werden.
Genau, Ronald Schernikau hatte auch nicht diese komischen Schranken im Kopf. Und wie kamen wir auf das Lied mit dem amerikanischen Präsidenten? Ronald Reagan war in Berlin, es gab eine riesengroße Demo. Es ging auch um „Atomkraft, nein danke“! So alt sind diese Themen. Ronald und ich haben ähnlich gefühlt und gedacht. Wir sahen Atomwaffen als Bedrohung für die Menschheit. Und wir haben noch daran geglaubt, dass man sowas verändern kann, mit Friedensdemos und was noch so gemacht wurde.
Recht politisch. Oft gilt Schlager hingegen als Simulation einer heilen Welt.
So ist es ja auch oft! Es gibt wie in jedem Genre gute Musik und auch abgrundtief schlechte. Was Udo Jürgens gemacht hat, waren anspruchsvolle, tolle Schlager. Oder wenn man noch weiter zurückgeht: Caterina Valente. Aber thematisch blieb der Schlager an der Oberfläche. Und als ich mich später dem Electro-Pop und dem Jazz geöffnet habe, wurde das mit weniger Publikum quittiert. Aber das war mir nicht weniger wert. Ich muss kein Massenthema sein. Mich interessierte die Musik mehr als das Image oder eine Karriere.
Gab’s denn Druck von den Plattenfirmen, dass Sie mit Charts-Mucke ein möglichst großes Publikum erreichen müssen?
Ich habe jahrelang keine Plattenverträge mehr unterschrieben. Ich war froh, dass ich Anfang der 1980er aus meinem letzten Plattenvertrag raus war – weil die mich genau zu solchen Sachen gezwungen haben: mindestens ein Album im Jahr. Und dann sollte ich auch der Stilistik, mit der ich einmal erfolgreich war, absolut treu bleiben. Eine Plattenfirma ist kein Sozialverein. Die wollen mit einem Künstler Geld verdienen. Die haben mir ein bestimmtes Repertoire auferlegt. Ich war froh, als das beendet war. Da war mir meine Freiheit lieber! Mein Jazz-Album habe ich dann auf meinem eigenen Label gemacht. In die Industrie bin ich erst wieder 1989 gegangen. Sieben Jahre lang war ich vertragsfrei.
Wäre das für Sie ein Albtraum, wie Helene Fischer im Stadion Schlager zu spielen?
Ein Albtraum nicht, denn ich war ja mit Florian Silbereisen auf Tour. Da kamen jeden Abend 20.000 Leute. Aber wenn ich als Musikerin geträumt habe, hab ich mir nie vorgestellt, dass ich ein Massenthema werden müsste, das hunderttausende Menschen beeinflusst. Über sowas denk ich nicht nach.
„Ich habe nicht so viel Ahnung von Schlagern“
Tut dieser gigantische Erfolg von Helene Fischer dem Schlager gut?
Das weiß ich nicht. Weil ich nicht so viel Ahnung von Schlagern habe. Und ich kokettiere nicht. Na klar waren viele Schlager dabei in meiner Laufbahn. Aber der Grundstein, der mich populär gemacht hat, ist von der Art der Komposition und der Produktion her ein ganz anderer. Aber mir ist es einerlei, wie die Leute das nennen! Ich bin gerne eine Schlagersängerin. Die jungen Jahre, als ich mich entschieden dagegen gewehrt habe, sind vorbei. Wenn man die Musik gemacht hat, gehört sie einem auch nicht mehr. Dann entscheiden andere Menschen, was es ist.
Wenn wir uns Ihrem Klang-Grundstein nähern: Was hat Ihnen denn am eleganten Philly-Sound der 70er so gut gefallen?
Diese Philly-Sound-Streicher machen mir ein wunderbares Gefühl, wie ein elegantes Parfum. Musik ist wie ein Parfum. Beides kann einen zurückführen zu Orten der Vergangenheit. Leute haben sich bei meinen Songs verliebt oder auch Liebeskummer bekämpft.
Sicher auch zu „Er gehört zu mir“. Wurde das irgendwann mal nervig, den spielen zu müssen?
Ich hab nie einen Song so lange gespielt, bis er mir zum Halse rauskam. Ich habe auf dem Höhepunkt meines Erfolgs gesagt: Ich bin nun erwachsen, ich muss jetzt woanders lang. Es war schwer, aus den bestehenden Verträgen rauszukommen – aber ich habe das trotzdem gemacht und gewagt. Und es war für meine persönliche Entwicklung oberwichtig: nicht der Erfolg um jeden Preis. Man muss machen, was man liebt.
„Jetzt passen Sie auf: Das Autogramm von McCartney war weg!“
Um auf einen anderen Ihrer Klassiker zu sprechen zu kommen: Haben Sie Paul McCartney jemals getroffen? Konnten Sie ihm sagen, wie Sie leiden?
Ich habe Paul McCartney getroffen. Der war mit den Wings damals in der Berliner Deutschlandhalle. Ich habe vier Stunden gewartet, bis er rauskam. Dann hat er mir sein Autogramm auf meine Single geschrieben, die „Mr. Paul McCartney“ hieß. Zwei Jahre, nachdem mein Song erschienen war.
Wahnsinn.
Jetzt passen Sie aber auf: Ich habe diese Single bei einem meiner Umzüge verloren.
Das ist ja schrecklich.
Ja. Bescheuert ist das! Das ist wirklich schlimm. Meine ganze Single-Sammlung war verschwunden. Ich musste mir meine eigenen Songs auf Flohmärkten wieder zusammenkaufen. Aber das Autogramm von Paul McCartney war weg!
Wenn Sie von Umzügen sprechen: Sie sind immer in Berlin geblieben, oder?
Ja! Ich wollte immer mal weg, in eine andere Stadt, aber ich hab’s nicht geschafft. Berlin hatte mich voll im Griff! In Berlin fühlte ich mich immer zu Hause.
In Lankwitz und Neukölln sind Sie aufgewachsen. Erkennen Sie diese Teile von Berlin heute noch wieder?
Ja klar! Aber inzwischen wohne ich in Charlottenburg. Das alte Charlottenburg.
„Rio Reiser und ich haben dann immer gekichert“
In Kreuzberg gibt es seit kurzem den Rio-Reiser-Platz. Mit dem haben Sie ja auch zusammen gearbeitet.
Ich finde den neuen Namen wunderbar! Der ist ja unweit vom Mariannenplatz. Rio und ich haben öfter unsere Witze darüber gemacht. Rio sagte zum Mariannenplatz immer: Marianne-Rosenberg-Platz. Dann haben wir gekichert. Auf meinem „Diva“-Album gibt es auch diese eine Ausnahme. Das ist der Ton-Steine-Scherben-Song „Der Traum ist aus“. Der ist da drauf, weil es sich bei diesem Album um eine tiefe Verbeugung handelt vor den Leuten, die meine Art, Musik zu machen, beeinflusst haben. Da war Rio Reiser insofern entscheidend, als er mich zum Songtextschreiben gebracht hat. Seit den 1980er-Jahren habe ich viele, viele Texte geschrieben. Ohne ihn wäre ich nie Autorin geworden.
Was stellt das eigentlich mit den amerikanischen Originalen auf dem „Diva“-Album an, wenn Sie denen einen deutschen Text verpassen?
Nun, dadurch, dass ich dieses Genre von Gloria Gaynor und Donna Summer innehatte, war das überhaupt nicht schwer für mich. „Er gehört zu mir“ ist nicht sehr unterschiedlich von „You’re the First, the Last, My Everything“ von Barry White. Ich hatte also diese Art von Musik schon längst in Deutsch gemacht. Insofern war es vielleicht nicht einfach, aber es hat sehr viel Freude gemacht. Und man muss sich ja nicht unbedingt an die Original-Storys halten.
Die Freiheit haben Sie sich genommen. Inwiefern sind Sie denn selber eine Diva?
Es kommt darauf an, wie man Diva definiert. In den letzten Jahrzehnten wird der Begriff oft eingesetzt, um zu sagen: „Das ist jetzt aber überzogen!“ Aber eigentlich kommt das Wort doch aus dem klassischen Bereich. Die größte Diva ist Maria Callas. Diva bedeutet hier: Einzigartigkeit. Hohe Kreativität. Und auch einen gewissen Anspruch an sich selbst während der Arbeit, die man macht. Wenn man Diva in dem Sinne definiert – ja, dann bin ich auf jeden Fall auch eine Diva.
Marianne Rosenberg: „Diva“ (Teleamo)