Hohepriesterin der Selbstliebe: Lizzo auf Tour in der Mercedes-Benz-Arena
Die Grammy-Preisträgerin Lizzo gab eine fulminante Show in Berlin. Manche dürfte sie mit ihrem sehr speziellen Rammstein-Cover von „Du hast“ geschockt haben.

Allein der Augenaufschlag! Mehr bräuchte es gar nicht, um die Mercedes-Benz-Arena jubeln zu lassen, am Dienstagabend kurz nach 21 Uhr. Unter blutorangenem und bibogelbem Lidschatten strahlen Lizzos Augen ganz im Einklang mit den Lippen. Superpositiver Spirit. Aber Lizzo hat noch sehr viel mehr mitgebracht für ihren Auftritt in der Benz-Arena – natürlich auch den Funk-Pop-Knaller „About Damn Time“, für den sie dieses Jahr den Grammy bekommen hat. Lizzo ist unsere „Berlin Bitch“, wie sie sagt. Und wir alle seien, verdammt noch mal, fantastisch: „fucking amazing“. Das Berliner Publikum, schon vor Lizzos Erscheinen gut aufgeheizt durch den starken Support-Act Bree Runway und auch Songs vom Band, von ABBA („Dancing Queen“) bis Frankie Goes To Hollywood („Relax“), goutiert es mit einer Party.
In ihrem ersten Outfit am Dienstagabend (im Grunde gelbe Stoffstreifen, die sich über ihren Körper erstrecken und dabei sehr viel Haut zeigen) glänzt Lizzo wie eine Bienenkönigin – aber eine, die sich gern das Dekolleté streichelt und twerkt. Und auch wenn sie dabei ihren Popo Richtung Kamera schwingt, ist immer klar: Lizzo steht mit ihren Songs, ihrer Performance, ihrem ganzen Wesen ein für Body-Positivity. „My Body, My Choice“ steht auf einem Shirt, das sie später tragen wird. Lizzo und ihre Cheerleader-haften Bühnentänzerinnen haben alle mindestens doppelt so viele Kilos auf den Rippen wie Heidi Klum erlauben würde. Egal, Lizzo will ja gar nicht Germany’s Next Topmodel werden, sie ist doch schon ein Weltstar.
Man tut Lizzo aber völlig Unrecht, wenn man glaubt, dass sie „nur“ mit ihrer mutmachenden Message punktet. Ihre Stimme ist der Wahnsinn! Lizzo müsste sich weder vor Erykah Badu noch vor Beyoncé kleinmachen. Kein Wunder, dass Prince zu ihren Fans und Förderern gehörte. Lizzos Stimme kann alles, was den Funk feiert, auch fauchen. Zudem flirtet ihr R&B immer wieder auch mit Rap-Parts. Zum Prince-Song „Boytrouble“ etwa hatte sie gerappt. Sicher macht sich auch bezahlt, dass Lizzo, 1988 geboren in der Techno-Stadt Detroit, als Kind mit Gospel aufgewachsen ist. Daher dürfte das Spirituelle, das Erbauliche rühren. Und der Nachdruck in der Stimme.
Dass Lizzo aber auch Neue Deutsche Härte kann – damit hätte wohl kaum jemand gerechnet: Zwischen ihren eigenen Gute-Laune-Pop-Hits wie „Fitness“ („that ass that don't stop“) und „Everybody’s Gay“ („dance the night away / everybody's gay“) stimmt Lizzo markig ein Lied von unseren gelernten Ost-Berlinern Rammstein an: „Du hast“ vom 1997er „Sehnsucht“-Album. Das düstere „du, du hasst, du hasst mich“ kontert Lizzo dann aber selbst mit einem „ich liebe mich“. Lizzo ist die Hohepriesterin der Selbstliebe. Und weil sie nur so überschäumt davon, ist auch genug Liebe für alle anderen da. Eine Win-Win-Situation.
Lizzo beschwört uns am Dienstagabend auf ihrer „Special“-Tour in Berlin, dass wir uns selbst jeden Tag vor dem Spiegel etwas Liebes sagen sollen. Das wird sicher bei vielen hängenbleiben. Und wenn uns jemand herablassend kommt, dann sollen wir uns an diese Energie heute Abend in der Benz-Arena erinnern und demjenigen verklickern, dass wir fucking amazing sind.
Wer schon die beiden früheren Berlin-Konzerte von Lizzo besucht hat, im Juli 2019 im Festsaal Kreuzberg und im November 2019 in der Columbiahalle (die damals temporär Knorkatorhalle hieß), erlebt nun in der Benz-Arena eine Künstlerin, der es erstaunlich gut gelingt, die Stimmung aus ihren kleineren Shows auch in die große Multifunktionsturnhalle am Ostbahnhof zu transportieren. Und obwohl die Handy-Pseudo-Feuerzeug-Lichtlein auf den hinteren oberen Rängen weit weg scheinen, stellt Lizzo doch immer wieder auch Nähe her, indem sie einzelne Personen aus dem Publikum herauspickt, herzlich anspricht – etwa den Typ auf dem zweiten Oberrang mit der froschgrünen Jacke. Wobei letztlich in Lizzos Attitüde freilich jeder und jede special ist.
Im letzten Drittel des Berlin-Konzerts hat sie sich zu einer (auch mal Querflöte spielenden) Botticelli-Venus transformiert, in XXL de luxe, mit Regenbogenschimmer. Eine Supersize-Discokugel sinkt in die Arenamitte hernieder. Lizzo, die Disco-Kaiserin, gibt ihren Grammy-gekrönten Hit „About Damn Time“ zum Besten. Ja, es wurde wirklich höchste Zeit, dass Lizzo kam, sang und siegte. Lizzo, unsere Berlin Bitch und auch ein neuer Typus Pop-Weltstar.