Mozarts „Così fan tutte“ an der Komischen Oper: Angriff der Porno-Gorillas
Der russische Regisseur Kirill Serebrennikow, der seit seiner überraschenden Freilassung in Berlin lebt, verlegt das Stück radikal in die Gegenwart.

Die neue, am Samstag vorgestellte „Così fan tutte“ an der Komischen Oper wurde schon 2018 in Zürich gezeigt. Ihr Regisseur Kirill Serebrennikow war damals in Russland inhaftiert und musste via Zoom und Video inszenieren. Seit fast einem Jahr lebt Serebrennikow nach seiner überraschenden Freilassung in Berlin und konnte nun die Produktion vor Ort betreuen.
Serebrennikow verlegt das Stück radikal in die Gegenwart und beginnt im Fitnessstudio. Gugliemo und Ferrando formen hier ihre Körper für Kampf und Sex, ihre Verlobten Dorabella und Fiordiligi nur für letzteren. Den Krieg – eigentlich nur ein Vorwand, um den Frauen die Männer zu entziehen, bevor sie als Orientalen verkleidet wiederkommen – nimmt Serebrennikow sehr schwer: Er zeigt Soldaten im Tarnfleck, es brennt auf der Bühne, die beiden jungen Männer werden in Särgen von der Bühne getragen, ihre beiden Geliebten bekommen Urnen ausgehändigt. Nach dem Abzug der Herren werden zwei Muskelprotze rekrutiert, um die Treue der Damen zu testen. Gugliemo und Ferrando singen nun einerseits für ihre stummen Körperdoubles und kommentieren andererseits die zunehmende amouröse Verwicklung. Wenn sie am Ende wiederkehren, wird kurz jene Passage aus „Don Giovanni“ einmontiert, zu der der tote Komtur auftritt – stehen die beiden wirklich aus ihren Urnen auf?
Da Serebrennikow seine Aktualisierung sehr konsequent durchführt und in der Personenführung höchst einfallsreich verfährt, strahlt die Inszenierung Kraft aus. Da die beiden Etagen, in die sein Bühnenbild geteilt ist, die vielfältigen Symmetrien der Geschichte so schlüssig wie unaufdringlich spiegeln, kann man Serebrennikow Formbewusstsein bescheinigen. Dass die Inszenierung ziemlich lustig ist, macht sie sympathisch und trotz ihrer drei Stunden reiner Spieldauer unterhaltsam. Amer El-Erwadi und Goran Jurenec als muskelstarrende Treue-Tester präsentieren ihre Prachtbodys mit bemerkenswerter Komik. Sie fressen den Kühlschrank leer, um sich zu „vergiften“, plumpsen vom Küchentisch und halten nach ihrer „Rettung“ durch den „Arzt“ auf die beiden Damen zu wie Porno-Gorillas.
Die Handlung in Serebrennikows „Così fan tutte“ beschreibt ein Experiment
Serebrennikow umgeht damit ein Problem, das eine Kritik im Sinne realistischer Dramatik immer mit dem Partnertausch im Libretto hatte: Wie können Fiordiligi und Dorabella nicht bemerken, dass sie gerade vom Liebhaber der anderen angegraben werden? Da in solchen Problemen meist ein Hund begraben liegt, wünschte man sich, dass sie von der Inszenierung bearbeitet und nicht umgangen werden. Denn gemessen daran, dass die Handlung ein Experiment beschreibt und Experimente nie „realistisch“ sind, sondern unter Laborbedingungen stattfinden, ist die Frage eigentlich zu dumm, um ernst gemeint zu sein. Fühlt sich bürgerliche Empfindsamkeit von der Frivolität des Vorgangs – einmal mit der Schwester der Gattin schlafen! – wider Willen angezogen und wehrt sie deshalb mit Zweifeln an der Glaubwürdigkeit ab? Dazu wäre zu analysieren, wie sich das Stück in den historischen Überkreuzungen der Liebesdiskurse von Hof und Bürgertum positioniert – und damit rückte man ab von jener Aktualität, die dem Regisseur so wichtig ist.
So interpretiert Serebrennikow die Kammerzofe Despina als eine Art feministischer Therapeutin, die mit Videovorträgen zu erotischer Selbstermächtigung aufruft – Alma Sadés ekstatisch ausgestoßene Spitzentöne in ihrer ersten Arie sind deren flammendes Zeichen. Bei Mozart dagegen ist es gerade die Zugehörigkeit zur Unterklasse, die Despina Freizügigkeit ermöglicht. Und Don Alfonso, der Hauptintrigant, ist in dieser Produktion kein „alter Philosoph“, den die Jahre aus dem Liebesspiel gedrängt haben, sondern ein durch Trennung frustrierter Zyniker, der im Fitnessstudio raucht und trinkt anstatt sich dem Körperkult hinzugeben. Günter Papendell klang ein bisschen indisponiert und nasal.
Nadja Mchantaf kämpfte im ersten Akt mit einem intontationsgefährdenden und monotonen Tremolo, dass sie im zweiten weitgehend unter Kontrolle bekam; ihre Rondo-Arie ist ein Höhepunkt des Abends, der von Katharina Müllner am Pult des Orchesters der Komischen Oper nach bis dahin zügigen und fließend phrasierten Tempi nun mit einer Langsamkeit genommen wird, die das Erwachen sinnlicher Empfindungen spiegelt. Ebenfalls wunderbar ist Hubert Zapiórs Gugliemo in der Arie „Un’aura amorosa“, während er in Ensembles oft zu präsent ist. Susan Zarrabi als Dorabella und Caspar Singh als Ferrando singen ebenfalls mehr als nur erfreulich, können sich allerdings in ihren Arien nicht mit gleicher Nuancierung profilieren.