Neue Platten fürs Wochenende: Miley Cyrus, Lonnie Holley, Fever Ray
Miley Cyrus gönnt uns „Flowers“ tagsüber und nachts. Lonnie Holley spielt Afrofuturismus à la Sun Ra. Und Fever Ray kann Dancing Queen mit Avantgarde-Quark.

Miley Cyrus: „Endless Summer Vacation“ (Smiley Miley/Columbia/Sony)
Nachdem Miley Cyrus schon mit ihrer ersten Vorab-Single „Flowers“ zur achten Platte „Endless Summer Vacation“ in den internationalen Charts mit gut nachvollziehbaren Gründen krass abgeräumt hat, zeigt sich: Auf dem neuen Album, das ja eigentlich die Endlosigkeit der Sommerferien im Titel führt, gibt es sehr wohl einen Anfang und auch ein Ende: „Flowers“. Durchaus ungewöhnlich, da Vorab-Singles ja traditionell eher auf Platz zwei oder drei der Tracklist landen. Aber Miley führt damit etwas im Schilde, ein Konzept: Das Album teilt sich in je eine Tag- und Nacht- beziehungsweise AM- und PM-Seite. Also das höchst energetische Frühstücksradio-„Flowers“, das wir schon kennen zu Beginn – und dann am Ende noch mal eine akustisch runtergestrippte traumwandlerische Nachtversion.
Dazwischen erstaunlich solide Soft-Pop-Songs mit dezenter Country-Schlagseite, Taylor-Swift-Shania-Twain-Liga. Klanglich mitgemischt haben Leute wie Melancholie-Garant James Blake („Violet Chemistry“), aber auch die Berliner Hitschreiberin und Sängerin Bibi Bourelly („Thousand Miles“ featuring Brandi Carlile).
Ein Song, der besonders Spaß macht, ist die Power-Country-Ballade „You“: Ganz anders als bei Flower, wo Miley Cyrus ihrem Gegenüber einen stattlichen „Verpiss dich!“-Tritt in den Arsch gibt, sehnt sie sich in „You“ nach Zweisamkeit: zusammen kubanische Zigarren schmocken, aus Bars rausgeschmissen werden, Sex im Mondlicht, und dann noch schnell bei einer Hochzeit auftauchen, zu der man nicht geladen ward – um rasch das Büfett oder zumindest den flüssigen Anteil daran zu plündern.
„River“ ist denn ein Kylie-Minogue-würdiger Tanzbodenknaller. Die wilde Joker-Karte auf „Wildcard“ ist allenfalls ein mittelwildes Kätzlein. Letztlich lehnt sich natürlich auch Miley Cyrus mit „Endless Summer Vacation“ nur soweit aus dem Konsens-Pop-Fenster, wie man es riskieren kann, wenn man glasklar auf die Spitze der Charts kalkuliert. Gut auf die Tränendrüse drückt (Spoiler: Wunderkerzen-Alarm!) die Power-Pianoballade „Wonder Woman“, eine Hymne auf die resiliente Frau, deren Fassade nur dann fällt, wenn sie nachts ihre Lieblingsplatte auflegt und dabei weint.
Ob das wohl die Platte von Miley Cyrus ist? In jedem Fall endet „Endless Summer Vacation“ mit „Flowers“ auf Klavierbouquet beziehungsweise endet nicht, denn man kann das Album ja, dem Titel entsprechend, auf Endless-Rotation stellen. Wenn man ganz „wild“ drauf ist.
Lonnie Holley: „Oh Me Oh My“ (Jagjaguwar/Cargo)
Der Legende nach, die Lonnie Holley selbst erzählt, wurde er im Alter von vier jungen Jahren, in einem Bordell in Birmingham, Alabama für eine Flasche Whiskey verramscht. Es lässt sich nicht mehr überprüfen, aber was in jedem Falle stimmt: Dass Lonnie Holley, der sich schon in den 1990ern einen Namen als bildender Künstler machte und seine Assemblagen etwa schon im Rosengarten des Weißen Hauses in Washington D.C. ausstellte, in den letzten Jahren auch zu einem artists’ artist unter den Klangkünstlern mutierte.
Zu den Fans des 73-Jährigen zählen (der Teilzeit-Berliner) Michael Stipe von R.E.M., aber auch Sharon van Etten und der Avantgarde-Kuschelrocker Justin Vernon alias Bon Iver – die auch allesamt auf seinem fünften, jazzigen Album mitsingen. „Oh Me Oh My“, das sich kathartisch durch persönlichen Schlamassel manövriert, klingt dabei nach Sun-Ra-Afrofuturismus, Brian-Eno-Ambient und Laurie-Anderson-Meditationen. Prima, dass Lonnie Holley bei seinen Kunst-Performances irgendwann nicht nur zum Pinsel, sondern auch zum Mikro griff!
Fever Ray: „Radical Romantics“ (Rabid Records/Pias)
Schweden schreiben ABBA-Melodien und Isländer verfrickelten Avantgarde-Quark wie Björk. Ist natürlich, wie alle guten Vorurteile, nur halb wahr. Karin Dreijer, Schwedin und einst Sängerin des Dance-Duos The Knife, kann durchaus Dancing Queen und auch Art-Noise.
Fever Rays dritte Solo-Platte, mit der sie am 2. Juni auch live an der Berliner Waldbühne gastieren wird, ist ein Album, das vom trauten Heim erzählt und auch davon, wie turbulent unheimlich es sein kann.
Björk hatte übrigens auch mal eine solche Platte gemacht, „Verspertine“ (2001), sinngemäß in etwa: Abendbrot. Aber natürlich kann man auf des Pendant von Fever Ray besser tanzen (Kostprobe? „Carbon Dioxide“), fiebrig und verstrahlt. Schweden eben.