Opa meckert – Westernhagens gesungener Kommentar zum Zeitgeist
In seinem großen Hit „Freiheit“ standen die Zeichen auf Frieden. In einem neuen Song spielt Marius Müller-Westernhagen auf die Konflikte der Zeit an.

Den Gestus, ein politischer Künstler zu sein, pflegte der Sänger und Schauspieler Marius Müller-Westernhagen schon aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sogenannten 68er-Generation. 1948 in Düsseldorf geboren, spielte er in den 70er-Jahren in einschlägigen Filmrollen des sogenannten Neuen Deutschen Films, etwa in „Das zweite Erwachen der Krista Klages“, dem viel beachteten Debüt der Regisseurin Margarethe von Trotta aus dem Jahre 1976.
Deren Sohn, dem Filmemacher Felix Moeller, gestand er unlängst in einer Dokumentation über das kulturelle Klima in den späten 70er-Jahren, dass es damals auch eine schicke Pose gewesen sei, mit der RAF zu sympathisieren. Passend dazu kursierte für einige Zeit die absichtlich verfälschte Floskel von der Prada-Meinhof-Bande. Lieber hübsch und radikal als unauffällig und angepasst. Those were the days.
„Auf die Barrikaden, das kann keinem schaden“
„Zeitgeist“ heißt jetzt auch ein neuer Song, mit dem Marius Müller-Westernhagen gewissermaßen einen musikalischen Kommentar zur Zeitenwende in den Ring wirft, in dem er zwischen sozialer Anklage und milder Selbstbeschreibung schwankt – irgendwie zwischen dem Appell zum Aufstehen und der Kategorie „Opa meckert“. So wettert er in dem an alte Rockweisen erinnerndem Lied gegen allgemeine Ignoranz: „Ich schrie so laut ich konnte, während du dich sonntest.“ Und auch der Verdacht, dass aufmüpfiger Protest nur eine Art selbstgefällige Haltung sei, klingt in dem schnell gereimten Satz durch: „Auf die Barrikaden, das kann keinem schaden.“ Marius Müller-Westernhagen – besser sollte man sagen: dessen lyrisches Ich – nimmt sich nicht aus von der tönenden Kritik, wenn er singt: „Ich lag in den Wehen der Revolutionsideen/ hab mir nichts dabei gedacht/ die Kraft in meinen Lenden/ zerfloss in meinen Händen.“ Selbstbefriedigungsfantasien eines alternden Mannes, denen man – sorry – lieber nicht genauer nachgehen möchte.
Düster raunend auch die Formulierung: „Vielleicht bin ich ein Spinner/ vielleicht war ich schon immer/ der, der zum Werwolf wurde in der Nacht.“ Das Video zeigt dazu einen gegenwärtigen Bilderrausch aus Umweltkatastrophen und Protestnoten, perfekt und suggestiv geschnitten. Marius Müller-Westernhagen gibt sich in dem Lied aufrührerisch und vage zugleich. Das war schon in seinem Song „Freiheit“ nicht anders, der in den Tagen des Mauerfalls zum Hit wurde, als der Begriff Zeitenwende noch mit einer großen Friedensbotschaft konnotiert wurde. Temps perdu.