Sonne und Beton und Bock auf Oper: Das Neuköllner Kinderopernhaus in Gropiusstadt

Die Staatsoper Unter den Linden bringt ihr Education-Programm auch nach Neukölln. Eine Kostprobe davon gab es im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt zu bestaunen.

Kinder der Lisa-Tetzner-Grundschule zeigen in Gropiusstadt einen Ausschnitt ihrer Proben.
Kinder der Lisa-Tetzner-Grundschule zeigen in Gropiusstadt einen Ausschnitt ihrer Proben.Sabine Gudath

Joe ist zehn und liebt „alte Musik“, sagt er, im Gegensatz zu seinen Eltern, die lieber Modernes hören, etwa Rammstein. Dann erzählt der Junge mit dem aschblonden Haar davon, wie er durch das Kinderopernhaus-Projekt mutiger geworden sei. „Hier fühle ich mich sicher“, sagt er. Mariam, in etwa im selben Alter, berichtet davon, wie sie früher Probleme beim Sprechen gehabt habe – was sich durch das Kinderopernhaus deutlich gebessert habe. Zine ist erst acht und sagt, sie möchte Sängerin werden. Ja, warum eigentlich nicht?

Es sind kleine berührende Momente aus einem Videoclip, der kurz die Arbeit des Kinderopernhauses vorstellt – und der am Freitagmittag über die Leinwand im Großen Saal des Gemeinschaftshauses Gropiusstadt läuft, noch bevor die Kinder dann leibhaftig auf die Bühne treten, um dort ihre Opernszenen aufzuführen. Es sind Kinder ab der dritten Klasse aus zwei Neuköllner Schulen: der Lisa-Tetzner-Schule und der Walter-Gropius-Schule. Seit September 2022 proben sie freiwillig wöchentlich in Schul-AGs. Und im September 2023 wird dann hier auf der stattlichen Bühne im Gemeinschaftshaus Gropiusstadt das Kinderopernhaus Neukölln gebildet – mit einer großen gemeinsamen Aufführung.

Jetzt im März 2023 ist also genau Halbzeit. Ein prima Zeitpunkt für eine Kostprobe. Im Zuschauerraum sitzen Dutzende Eltern, Stadtteilmütter, Leute vom Quartiersmanagement, Bewohnerinnen-Initiativen und auch Vertreter der beteiligten Schulen. Zudem ein paar Promis: der Neuköllner Bezirksbürgermeister Martin Hikel mit seiner Kulturstadträtin Karin Korte (beide SPD), aber auch der Staatsopern-Intendant Matthias Schulz und Regina Lux-Hahn, die das Kinderopernhaus-Projekt 2010 in Lichtenberg gestartet hat. Seitdem ist es ein wichtiger Teil des Education-Projekts der Staatsoper. Auch in Reinickendorf, Marzahn-Hellersdorf und Treptow-Köpenick gibt es schon Kinderopernhäuser des Projekts. Und nun auch in Neukölln. Jemand hat mal gesagt, Neukölln sei überall. Man könnte wohl auch sagen, die Staatsoper ist überall.

Kinder der Walter-Gropius-Schule zeigen einen Ausschnitt ihrer Proben.
Kinder der Walter-Gropius-Schule zeigen einen Ausschnitt ihrer Proben.Sabine Gudath

Das Prinzip geht so: Zunächst proben die Kids, die möchten, wöchentlich in Schul-AGs, unterstützt durch lokale Musikschulen. Sie treffen sich aber auch im „großen rosa Haus“, wie Lux-Hahn die Staatsoper nennt, für Workshops mit den dortigen Profis. All das soll ihnen natürlich auch die Oper schmackhaft machen, aber zudem sollen sie (das wird im Panel-Talk von Hikel, Korte, Schulz und Lux-Hahn deutlich), unabhängig von Herkunft und Bildungshintergrund selbstbewusst, tolerant und teamfähig aus diesen Proben hervorgehen. Stolz drauf sein, was man zusammen kann.

Die Kids aus der Lisa-Tetzner-Schule legen los auf der Gemeinschaftshausbühne: Ihre Kostproben-Szene ist eine Art verzaubertes Klassenzimmer bei Orchestermusik. Wenn man ihnen so zuschaut, wie sie zur Rampe vorpreschen, theatralisch schnaufen und posen, um dann zur Seite wieder abzuschwirren, kann man sich leicht vorstellen, wie spaßig schon die Proben gewesen sein müssen. Dann glänzen sie mit Ballett-Drehungen und knackigen Dialogen mit einer imaginären Lehrerin.

Die Kinder aus der Walter-Gropius-Schule entführen uns anschließend in „ein Land, in dem die Menschen fast gar nicht reden“. Anders als beim Glücksrad, wo man Buchstaben kaufen kann, muss man in diesem Land offenbar Wörter kaufen, bevor man sie verwenden darf. Was ist denn da los? „Kaufen, kaufen, kaufen / Wir haben alle Wörter da“ singen die Kids perkussiv, die sich niedliche Bauchläden umgeschnallt haben, begleitet von einer FSJlerin an der Gitarre. Inwieweit es sich bei dem Lied um Kapitalismuskritik handelt, bleibt offen. Das dürfen wir wohl dann im September erleben, wenn wir das ganze Stück sehen.

Worte für Tiere, Essen und Monate halten die Kids in ihren Bauchläden jedenfalls bereit. Aber auch für Gefühle. Und man ahnt, dass einige von ihnen in den nächsten Jahren beim Kinderopernprojekt wahrlich eine Sprache für Gefühle finden werden. Eine Sprache auf den Musiktheater-Brettern, die die Welt bedeuten können. Ob diese Kids dann in zehn Jahren Rammstein oder Oper hören, steht indes noch in den Sternen. Vielleicht ja auch einfach beides? Als die Kids nach ihren Szene lachend zu ihren Eltern stürmen und sich herzen lassen, funkelt da in jedem Fall ein Gefühl auf, das sich nicht mit Goldstaub aufwiegen lässt. Gropiusstadt stand für „Sonne und Beton“. Nun steht es auch für Bock auf Oper.