Purple Disco Machine: Der Grammy-Gewinner aus Ost-Deutschland
Tino Piontek alias Purple Disco Machine ist der Mann aus Dresden, dem die Stars vertrauen: Lady Gaga, Elton John, Kylie Minogue. Wir haben mit ihm exklusiv gesprochen.

Gratulation zum Grammy für den Remix von Lizzos „About Damn Time“, Herr Piontek! Sie sind wahrscheinlich gerade erst aus Kalifornien zurückgekommen?
Ja, wir sind gestern Nacht zurückgekehrt. Und versuchen noch, den Jetlag loszuwerden.
Sind die Grammys denn so glamourös, wie man sich das vorstellt? Oder wird da auch nur mit Wasser gekocht?
Ich glaube, es wird überall nur mit Wasser gekocht. Aber es ist schon sehr glamourös dort. Alle gut gestylt in toller Kleidung. Viel großes Drumherum. Selbst wenn ich nicht gewonnen hätte, hätte sich das sehr gelohnt. Nicht zuletzt auch für die Kontakte. Lizzo und Doja Cat habe ich auch getroffen hinter der Bühne.
Hat Lizzo Ihnen denn gesagt, wie sie den Remix ihres Songs „About Damn Time“ findet?
Ja, das hatte sie schon vor der Gala gesagt, dass sie ihn toll findet. Auch über die Nominierung hatte sie sich schon sehr gefreut. Das ist natürlich auch eine Bestätigung für sie, dass der Song einfach verdammt gut ist. Er wurde ja auch als Song des Jahres gekürt, völlig zu Recht. Er ist anders als das, was in Amerika im Radio läuft zurzeit. Er ist super funky und auf ihre Stimme fokussiert. Lizzos starke Texte springen ja auch so aus ihr heraus. Es geht um sie als Person und um ihr Leben. Der Song ist super – was es auch für meine Arbeit einfach gemacht hat.
Wenn der Song eh schon perfekt scheint, ist es dann nicht schwierig, überhaupt noch was daran zu ändern im Remix?
Ich würde gar keine Remixe mehr annehmen, wenn da nichts drin wäre, womit ich dann arbeiten kann. Ich höre mir den Song einige Male an und schlaf dann eine Nacht drüber. Wenn ich am nächsten Tag eine Idee habe, wie mein Remix klingt, dann ist es cool, dann geht es schnell. Wenn ich ohne Idee ins Studio gehe, verkrampfe ich, dann wird es schwer.
Wie war es bei „About Damn Time“?
Das Original ist ja langsamer. Ich wusste: Wenn ich als DJ den Song in einem Club oder auf einem Festival spielen würde, würde ich ihn schon etwas schneller machen. Drums und Arrangement habe ich ein bisschen ausgedünnt. Clubbiger, tanzbarer. Und trotzdem habe ich versucht, alle wichtigen Elemente, also ihre Stimme und die wichtigsten Instrumente beizubehalten – alles, was das Original eben ausmacht.
Was macht für Sie einen guten Remix aus?
Es gibt zum Beispiel gute Remixe, die auch in den letzten Jahren Grammys gewonnen haben, zum Beispiel von Imanbek. Der hat aus einem HipHop-Song einen Dance-Song gemacht. Das wäre ein Ansatz, der funktionieren kann. Auf der anderen Seite gibt es viele Leute, die aus Pop-Songs Club-Songs gemacht haben. Wie Extended-12-Inch-Versionen. Das ist so mein Ansatz, weil ich auch aus der Vinyl-DJ-Welt komme.
Und was wäre umgekehrt ein schlechter Remix?
Wenn man merkt, dass da jemand ideenlos einen Drum-Loop druntergelegt hat. So was würde ich als DJ auch nicht auflegen.
Ihr Sound als Remixer und auch bei Ihren eigenen Tracks ist wahrscheinlich aus Ihrer Erfahrung als DJ heraus entstanden?
Definitiv. Selbst meine Pop-Songs „Dopamine“ und „In The Dark“. Wenn ich produziere, denke ich in erster Linie wie ein DJ. Ich mache mir nie Gedanken, ob etwas ins Radio passt. Vielleicht trägt das auch zum Erfolg bei – weil ich dadurch anders klinge als das, was sonst im Radio kommt. Auch beim finalen Abmischen frage ich mich immer, was im Club wohl funktioniert.
Inwiefern ist das anders?
Wenn man einen Song für den Club abmischt, sind die Drums das Hauptelement. Die Kickdrum und die Bassline müssen aufeinander abgestimmt sein. Sodass es ordentlich Druck hat und einen zum Tanzen anregt. Und dann gibt es da noch Psychoakustik: Frequenzen, die man nicht mal hört, aber trotzdem was im Körper auslösen.
Sie kamen zur Musik über Rockplatten aus dem Westen, die Ihr Vater nach Dresden mitbrachte. Wie kam der an diese Platten?
Beide meiner Eltern waren super musikverliebt. Im Radio wurde Musik aber nur sehr eingeschränkt gespielt zu DDR-Zeiten. Auch was es auf Kassette gab, war limitiert und auch gefiltert. Aber es gab Märkte in Tschechien und in Ungarn. Da wurde Musik gehandelt und getauscht. Sachen, die es bei uns nicht gab. Es wurde an der Grenze kontrolliert, dass man nicht zu viel Geld mitnahm. Wenn er Pech hatte, musste er auch die Hälfte der Platten an der Grenze wieder abgeben.
Welche Bands haben Sie so auf Platte kennengelernt?
Das waren Bands wie Genesis und Pink Floyd. Die waren zwar in der DDR nicht verboten, wurden hier aber auch nicht gepresst.
Und wie haben Sie dann angefangen, selbst als DJ aufzulegen in Dresden?
Das war Mitte, Ende der Neunziger, als ich so 15, 16, 17 war. Da hatte ich dann nicht mehr den Musikgeschmack meiner Eltern, sondern schon sehr meinen eigenen: Disco und Funk. Michael Jackson, Prince und Motown. In der DDR lief nur Italo-Disco. Mit der Techno-Bewegung in Deutschland bin ich dann auch zur elektronischen Musik gekommen. Loveparade und Mayday, ich hab alles aufgesaugt – und wollte wissen, wo die Ursprünge liegen. Den French-House von Daft Punk fand ich besonders cool zur Zeit meiner ersten DJ-Gigs.
Loveparade heißt, Sie sind auch von Dresden nach Berlin gefahren, um sich Inspiration zu holen?
Als ich klein war, hab ich sie bei Viva geguckt. Meine erste Loveparade war 1998, mit 18. Eine krasse Erfahrung!
Und wie war die Party-Kultur in Dresden?
Früher gab es eine absolute Weggeh-Kultur: Es gab so viele Clubs! Der Germanclub war wohl der erste House-Club in Dresden. Eine Offenbarung für mich. Die Musik, die ich geliebt habe. Auch mit internationalen DJs. Bis heute ist die Dresdener Techno-Szene aber beeinflusst von der in Berlin. Gefühlt haben alle internationalen DJs, die nach Berlin kamen, noch mal eine Extrarunde nach Dresden gedreht. Leider ist die House-Kultur in Dresden aber weggestorben. Die Diskotheken-Kultur dann Mitte der Nullerjahre. Techno gibt es noch in Subkulturen, in Läden wie der Paula oder Kleinvieh.
War das für Ihre Sozialisierung als DJ denn entscheidend, dass Sie aus dem Osten Deutschlands kommen?
Viele Jahre lang hätte ich gesagt, dass es eine internationale Karriere unmöglich gemacht hat. Es war schwer, aus dem Tal der Ahnungslosen, wie man das in Dresden nennt, rauszukommen. Zumal, als das Internet noch nicht so relevant war. Tal der Ahnungslosen passt schon irgendwie: Viele Trends kamen hier in Dresden erst mit einem Jahr Verspätung an. Wahrscheinlich tun wir uns in Dresden schwer mit neuen Dingen. Wir mögen Tradition und Gewohnheiten. Heute sehe ich es anders: In Dresden konnte ich meinen Weg gehen, ohne dass mich irgendwer gehindert oder verformt hätte.
Was meinen Sie mit „verformt“?
Mitte der 2000er habe ich viele erlebt, die nach Berlin gegangen sind. Die haben sich verwandelt, ihre Identität verloren, sind im Berlin-Sumpf versackt. Und keiner von denen ist so richtig wieder rausgekommen. Rückblickend würde ich sagen: Dresden war meiner Karriere förderlich. Ich habe mich von Hypes nicht verbiegen lassen – ich hab sie nicht mal mitgekriegt. Von daher konnte ich immer das machen, was mich berührt.
Und trotzdem kommt Ihr Sound auch international an: Sie haben Lady Gaga, Elton John und Kylie Minogue geremixt. Machen die Ansagen, wie sie den Remix von Ihnen haben wollen?
In den letzten Jahren hab ich nichts mehr gehört von wegen „wir wollen, dass es so und so klingt“. Wenn Managements doch mal fragen, ignoriere ich das zu 90 Prozent – es sei denn, es kommt direkt von den Künstlern!
Wie gehen Sie damit um, wenn solche prominenten Anfragen kommen?
Erst mal fühle ich mich geehrt. Und dann will ich wissen, was die Intention ist: ob das wirklich der Künstler will oder ob das Label das aus taktischen Gründen macht. Mittlerweile hab ich mir so einen Namen erarbeitet, dass ich auch persönlich mit den Künstlern in Kontakt komme. Dann merkt man schon, wenn die auch Bock drauf haben. So war es auch bei Lady Gaga und Elton John. Kylie Minogue hatte mir persönlich geschrieben. Und ich war vor ein paar Wochen auch mit ihr im Studio, um an neuen Songs zu arbeiten. Bei Elton John war es sein persönlicher Wunsch, dass ich den Remix mache. Das ehrt einen umso mehr. Aber auch der Druck ist dann größer.
Was hat Elton John gesagt?
„Bitte mach meine Stimme an der Stelle etwas lauter.“ Der Klassiker! Aber ich war schon erstaunt, dass er in seinem Alter noch den Biss hat, auch ganz kleine Feinheiten noch nachzukorrigieren. Er könnte ja auch sagen: „Dieser Remix, ist mir alles egal!“ Aber er hat da Interesse dran, dass alles, wo sein Name draufsteht, dem Ideal entspricht. Letztlich hat er sich auch sehr bedankt.
Inwieweit finden Sie, dass man als DJ Wünsche aus dem Publikum berücksichtigen sollte? Das kann ja kollidieren mit den künstlerischen Ambitionen.
Das ist die größte Herausforderung für jeden DJ, auf diesem Schmalen Grat zu wandeln: Wie weit bin ich Künstler, wie weit Dienstleister? Ich habe das immer die „Berliner DJ-Polizei genannt“, diese Leute, die alles verurteilt haben, was halbwegs kommerziell und irgendwie erfolgreich war. Die haben wirklich nur ihren Stiefel durchgezogen! Egal, ob’s jemandem gefallen hat; egal, ob jemand getanzt hat. Ich hab’s nie verstanden! Ich habe immer versucht, einen Mittelweg zu finden. Ich hab ja viele Jahre lang als Resident gespielt, sechs, sieben, acht Stunden lang. Du musst einen Mittelweg finden zwischen „was möchte die Crowd?“ und dem Versuch, ihnen trotzdem Neues zu präsentieren. Das ist heute noch wichtiger als früher.
Inwiefern noch wichtiger?
In diesem ganzen Dschungel von neuer Musik ist es schon cool, wenn Leute dir was zeigen, das besonders cool ist. Ich bin früher in den Club gegangen, um Sachen zu hören, die ich vorher noch nie gehört hatte. Das hat sich heute etwas geändert: Heute wollen viele das hören, was sie auf dem Weg zum Club schon 20 Mal in der Dauerschleife gehört haben. Heute halten Leute den DJs Handys hin, Titelnamen drauf. Man muss eine Balance finden. Von daher: Gib den Leuten das, wovon sie selbst noch gar nicht wissen, dass sie es wollen!