Das Löffelchen Zucker im Gulasch: Rammstein und die besondere Rolle von Flake in der Band

Warum sind Rammstein die wohl am meisten missverstandene Band des Landes? Was will ihre Musik eigentlich und welchen speziellen Part spielt dabei ihr Keyboarder Flake?

Ungeschminkt: Keyboarder Flake außerhalb seiner Rolle als Kauz bei Konzerten der Band.
Ungeschminkt: Keyboarder Flake außerhalb seiner Rolle als Kauz bei Konzerten der Band.Max Lautenschläger

Über keine Band in diesem Land haben deutsche Feuilletonisten ihren Stab mit einer solchen Wucht gebrochen wie über Rammstein. Bereits kurz nach ihrer Gründung 1994 schossen Journalisten mit Giftpfeilen auf die von ihnen ausgemachte Zielscheibe. Ihre Argumentationskette ist seither die folgende: Das Sextett bediene sich nicht nur an nationalsozialistischer Stilistik – sondern stehe demgemäß auch in der gedanklichen Tradition des Faschismus.

Ästhetische Parallelen wurden zuhauf ausgemacht: Da wäre zum einen die maschinelle Opulenz des Bühnenbilds. Da wäre zum zweiten der damit einhergehende, Mark und Bein erschütternde Pathos. Weitere Punkte der Anklageschriften listen gebieterische Posen, hypermaskulines Gebaren sowie das frenetisch gerollte „R“ von Sänger Till Lindemann. Dessen Bandkollege und Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz sagte einmal dem Musikmagazin Rolling Stone, dass man aus der DDR die Mentalität ins geeinte Deutschland mitgenommen habe, schlechte Kritik der Presse als Anerkennung zu begreifen: „Solange Medien wie der ‚Stern‘ oder der ‚Spiegel‘ uns hassen, ist die Welt in Ordnung.“

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Wirkliches Verständnis für die Diskurse um vermeintlich rechte Tendenzen haben Rammstein nie aufgebracht. Als Punks und Gruftis sei man aufgewachsen, so der Tenor der Band; mit Nazis hingegen habe man sich in Jugendjahren Schlägereien geliefert. Doch tatsächlich fällten Rammstein in der Vergangenheit Entscheidungen, die Wasser auf den Mühlen ihrer vornehmlich westdeutschen Gegnerschaft waren. Ein Musikvideo zu dem 1998 veröffentlichten Coversong „Stripped“ beispielsweise enthielt Material von Leni Riefenstahl – jener Regisseurin, die einst mit ihren Propagandafilmen Hitlers Ideologie in Szene setzte. Rammstein gestanden ihren Fehler ein.

Vergnügen an der Provokation: Rammstein und der Rechtsextremismus

Für alle Zeiten ein Ende setzen wollte man den medialen Vorhaltungen kurz nach der Jahrtausendwende. Auf dem 2001 veröffentlichten Stück „Links 2 3 4“ heißt es unumwunden: „Sie woll’n mein Herz am rechten Fleck / Doch seh’ ich dann nach unten weg / Da schlägt es links / Links, zwo, drei, vier“. Die erwünschte Signalwirkung hat der Refrain verfehlt. Bis heute drucken unterschiedlichste Blätter Kommentare auf ihre Kulturseiten, die Rammstein zur formatio ingrata erklären. Nun darf nicht vergessen werden, dass jene Mechanismen dem himmelschreienden Erfolg der Band immer zuträglich gewesen sind.

Den Rammstein-Musikern bereitet die Provokation Vergnügen, und wer einen Affront sät, der wird Entrüstung ernten. All das ist Teil des Spiels, Rammstein sind sich dessen bewusst. Es gibt aber einen wesentlichen Unterschied, ob die schreibende Zunft die Gruppe nun einen Bürgerschreck heißt oder als Rechtsextremisten deklariert. Wer letzteres postuliert, der sollte sich wirklich sicher sein und andernfalls schweigen. Die Wurzeln der theatralischen Stilistik und überlebensgroßen Inszenierung von Rammstein lassen sich bis in die Dreißigerjahre zurückverfolgen. Das ist unstrittig. Was viele Journalisten hingegen allzu oft übersehen, ist die bewusst karikierende Darstellung des brachial Nationalistischen. Vielleicht, weil man in Deutschland das Persiflieren der eigenen finsteren Geschichte nicht aushält, übersieht man die gezielte Überspitzung, stolpert über doppelte Böden und verkennt Brüche in der martialischen Darbietung. An dieser Stelle sei erwähnt, dass man in anderen Teilen dieser Welt weitaus weniger Probleme hat, die inszenatorischen Glossen von Rammstein als solche zu erkennen.

Kontrapunkt innerhalb von Rammstein: der Keyboarder Flake

Ein Gegengewicht zu den beinharten Mannsbildern verkörpert auch Rammstein-Keyboarder Flake Lorenz. Seine schmale Statur und die Brille verleihen ihm eine gewisse Fragilität, sie kontrastieren den Rest der Band ironisch. In seiner Rolle als Kauz obliegt es ihm, die roboterartige Choreografie mit skurrilen Einlagen zu entkrampfen. Seit Ende der Neunzigerjahre rudert der Keyboarder auf einem Gummiboot über das Publikum. Als komische Figur der Show hat er überdies bereits im Kochtopf geschmort und wurde in einer Badewanne mit flüssigem Metall übergossen.

Lange vor all diesem Zirkus gab es Feeling B. 1994 sind Rammstein aus jener Ost-Berliner Fun-Punk-Gruppe hervorgegangen, nur Flake Lorenz ließ sich mit seinem „Übertritt“ zu Rammstein Zeit. Zu stumpf waren ihm die Riffs, zu streng war ihm die Aura. Laut Rammstein-Gitarrist Paul Landers brauchte es einiges an Überzeugungsarbeit, doch die junge Band wurde des Bekniens nicht müde. Man habe eine Person gebraucht, die dagegenhält: „Wenn Rammstein Gulasch ist, dann musst du ein Löffelchen Zucker reinmachen, damit der Gulasch gut schmeckt“, so Landers Ende der Neunziger.

Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ Lorenz
Rammstein-Keyboarder Christian „Flake“ LorenzNikita Teryoshin

Diabolisch, aber demokratisch: die Ost-Berliner Band Rammstein

Um im Bild zu bleiben: Der metaphorische Zucker als Konterpart zur Säure der Tomate hat seine Wirkung nicht verfehlt, die Rezeptur mundete auf allen Kontinenten. Schon wenige Jahre nach ihrer Gründung waren Rammstein im Begriff, das von ihnen kultivierte Genre der Neuen Deutschen Härte in die Welt zu tragen. Der musikalische Grundentwurf: Schnelle, amerikanische und verzerrte Heavy-Metal-Gitarren, das Schlagzeug drischt einen teutonischen Viervierteltakt. Aufgelockert wird das diabolisch anmutende und für sich genommen schlichte Klangkonstrukt durch das Keyboardspiel von Flake Lorenz. In der Produktion zeigt er sich auch für die Samples, die Chöre und Streicher verantwortlich und überführt Rammstein damit in die Welt des Pop – man denke nur an „Engel“, eines ihrer prominentesten Lieder.

Im Übrigen treffen Rammstein jede einzelne ihrer Entscheidungen nach einem demokratischen Mehrheitsvotum, alle Stimmen tragen das gleiche Gewicht. Sogar Lindemanns Texte stehen vor jedem Album zur bandinternen Debatte. Schlagzeuger Christoph Schneider umschrieb seine Band einmal als ein Geschöpf, welches einzig und alleine im Beisammensein aller sechs Mitglieder erwachsen kann. Gespalten seien die Musiker vor allem hinsichtlich der Frage, wie viel Zirkus eine Rock-Kapelle eigentlich verträgt. Für Lindemann sind Gefunkel und Flammen ein essenzieller Bestandteil, andere sehen die Musik mitunter zu weit in den Hintergrund gerückt.

Kalkulierter Tabubruch: Rammstein und die bösen Themen

Im Laufe ihrer bisherigen Karriere haben Rammstein unzählige gesellschaftliche Tabus gebrochen: BDSM, Inzest, Missbrauch, Drogenkonsum, Pyromanie, Nekrophilie, Kannibalismus, Voyeurismus und Sextourismus. All diese Themen haben sie auf ihren acht Studioalben in knapp drei Dekaden verhandelt. Dass Lindemann meistens in der ersten Person textet, verleiht seinen Geschichten nochmals eine frontale Unmittelbarkeit. Klar polarisiert das und klar ist das einigen Leuten zu viel. Im März 2019 veröffentlichten Rammstein die Single „Deutschland“. Nach alter Gepflogenheit schockierten sie schon vorab mit einem dreißigsekündigen Schnipsel.

Darin ist zu sehen, wie die Bandmitglieder als KZ-Insassen verkleidet an den Galgen geführt werden – die Empörungsspirale ging ihren gewohnten Gang. Schließlich erschien das neunminütige Monument von einem Musikvideo und damit die Abhandlung der Gräueltaten deutscher Geschichte. Rammstein heroisierten nicht, sie stellten die DNA dieses Landes unverblümt zur Schau. Die Zeilen können nicht – sie müssen – als unmissverständliche Positionierung gelesen werden: „Deutschland! Deine Liebe ist Fluch und Segen! Deutschland! Meine Liebe kann ich dir nicht geben.“ Hier liegt des Pudels Kern verborgen: Seit jeher offenbaren Rammstein, welch zerstörerische Kraft unserem deutschen Wesen innewohnt. Lernen wir, die Dämonen in Schach zu halten!

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