Strauss’ „Daphne“ an der Staatsoper: Lieber mit Bäumen als mit Männern
Eine wenigstens musikalisch erfreuliche Produktion: Romeo Castellucci lässt an der Staatsoper Schnee über Richard Strauss’ „Daphne“ fallen.

Das zutiefst Ärgerliche an der neuen „Daphne“ der Staatsoper Unter den Linden ist nicht nur, dass dem Regisseur Romeo Castellucci nichts eingefallen ist, sondern vor allem, dass das, was ihm eingefallen ist, die Gehalte und Potenziale dieser Oper verdeckt. Eine Tonne Theaterschnee rieselt über die pausenlosen 105 Minuten auf die Bühne hinab und begräbt alles, was an diesem Spätwerk von Richard Strauss interessant ist. Das sieht schick aus, ist stimmungsvoll beleuchtet als Abend- oder Morgendämmerung, ist aber als Gedanke über das Stück so dürftig wie das vertrocknete Bäumchen, das Daphne wort- und vokalisenreich zu ihrem Bruder erklärt. Es gab Bravos dafür.
Joseph Gregor wollte in seinem Libretto alle mythischen Überlieferungen über Daphne zusammenführen. Strauss drang dagegen auf psychologische Ausdeutung und dramatischem Knoten. Am Ende kam eine oratorische Oper ohne Dramatik heraus, aber mit genügend Substanz und Widersprüchlichkeit für eine szenische Ausdeutung. Von der Geschichte abgesehen – es geht um eine junge Frau, die lieber mit Bäumen als mit Männern zusammen ist und Apollo durch den Widerstand gegen seine Nachstellungen dazu hinreißt, ihren Jugendfreund Leukippos zu vernichten –: Wie ist dieses bildungssatte Stück, diese anmutige Musik mit der Entstehung unmittelbar vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zusammenzureimen? Liegt in Daphnes Rückzug aus der Menschenwelt der Eskapismus späterer Kristina-Söderbaum-Filme? Was hat Strauss’ Klassizismus mit dem der Nazis zu tun, versteht er sich als humane Zurücknahme von deren gewalttätigen Stilgesten?
Derlei Spannungen werden von Castelluccis monotoner Bühnenmetapher absorbiert. Dass Daphne sich in dieser Landschaft bis auf die Wäsche entkleidet, mag ihr Anderssein gegenüber ihrer in weiße Daunenjacken verpackten Mitmenschen zeigen – aber was sich sonst noch in dieser Gesellschaft tut, ist nicht festzustellen. Man feiert ein Fest zu Ehren des Dionysos mit Ringelreihn und Schneeballschlacht – der Gott des Rausches wäre dabei eingeschlafen. Dass Castellucci Texte über den Klimawandel ins Programmheft aufnehmen ließ, vermag zu erheitern: So wird einem das Interpretieren etwa des vertrockneten Bäumchens durch meteorologische Tatsachen abgenommen.
Musikalisch ist die Produktion erfreulich vor allem durch Vera-Lotte Boeckers jugendlich strahlende und zugleich so souverän über ihre Riesenphrasen herrschende Daphne, Anna Kissjudits freundlich-raunende Gaea und den mit Magnus Dietrich durchaus lyrisch und charaktervoll besetzten Leukippos, der sonst gern als Leichtgewicht abgetan wird. Thomas Guggeis entlockt der Staatskapelle vielfältige Farben und setzt ökonomisch Akzente, das motivische Geflecht indes gerät ihm eher zum Dickicht, das das Spannen großer Bögen erschwert.
Daphne Staatsoper, wieder am 23. Februar, 2., 5. und 9. März