Früher war mehr Koks: Robbie Williams beichtet alles und bereut nichts in der Benz-Arena

An zwei aufeinanderfolgenden Abenden spielt Robbie Williams auf seiner „XXV – 25 Years Of Hits“-Tour in der Berliner Mercedes-Benz-Arena. Wie war’s am Montag?

Außer Rand und Band: Robbie Williams in der Berliner Mercedes-Benz-Arena
Außer Rand und Band: Robbie Williams in der Berliner Mercedes-Benz-ArenaBenjamin Pritzkuleit

Er ist gekommen, uns zu entertainen: Eben noch quillt, gemütlich wie im Auenland, ein in Mittelblau getünchter Nebel über die Bühne der Mercedes-Benz-Arena zur Chill-Pop-Hymne „Sweet Harmony“ („let’s come together!“) von The Beloved – vom Band. Schon sind die Lichter gedimmt und die markante Robbie-Williams-Stimme, die nun wirklich jeder kennt, der in den letzten 25 Jahren mal das Radio eingeschaltet hat, zählt „two, one, two“ an, noch bevor wir den Star des Abends überhaupt sehen. Die Kickdrum stampft heftig, und die durch Verzerrer gejagten Gitarren sind ruckzuck von null auf 180, hinten flackert die Mega-Leinwand wie ein gestörtes TV-Testbild, aber so, dass klar ist: alles so gewollt. Auf großen Podesten, die etwas von dekonstruierten Giga-Zauberwürfen in Piet-Mondrian-Gedächtnisfarben haben, fetzt die Live-Band.

„Hey Wow Yeah Yeah“ heißt der Opener am Montagabend – dem ersten von zwei aufeinanderfolgenden Tagen, an denen Robbie Williams in Berlin die Mercedes-Benz-Arena rockt, auf seiner „XXV – 25 Years Of Hits“ betitelten Tour. „Boom, boom, boom / bang, bang, bang“ platzt es im Song aus Robbie Williams heraus. Er trägt einen ärmellosen Glitzergold-Anzug, der gleichermaßen tauglich für einen Gala-Abend wie auch einen Boxkampf scheint. Tattoos prangen auf den Armen. Die silbergrauen Haare hat sich Williams zur Elvis-Tolle hochgegelt.

Auf seinem Nacken liegt ein Stoff auf, der ein Duschhandtuch aus dem Fitnessstudio oder eine Seiden-Stola aus dem antiken Rom sein könnte. Flankiert wird Williams von sechs spärlich bekleideten Hofstaat-Tänzerinnen. Schon der erste Song des Abends ist ein noisy Ausraster, wie ihn sich die meisten anderen Pop-Acts erst zu später Stunde gestatten würden. Es ist gerade mal 21.15 Uhr, aber schon ist klar: Heute Abend ist nicht einfach Kuschel-Williams gekommen. Nein, willkommen, hier ist Robbie Rock ’n’ Roll! Er hüpft im Takt, stachelt die Meute an. Und als er sich dann doch mal Schweiß aus dem Gesicht wischen muss, sagt der mittlerweile 49-Jährige: „Es liegt nicht an meinem Alter, es ist Long Covid“, muss dann aber selber lachen.

Umgarnt von Tänzerinnen: Robbie Williams in der Mercedes-Benz-Arena
Umgarnt von Tänzerinnen: Robbie Williams in der Mercedes-Benz-ArenaBenjamin Pritzkuleit

„Ich bin Robbie fucking Williams“, moderiert sich Robbie fucking Williams selber an. Sich und seinen „Let Me Entertain You“-Mottohit. So als wäre das irgendwem noch nicht ganz klar gewesen irgendwo im vierten Obergeschoss der Arena. Er liebt es zu plaudern, zumal anzüglich. „Als Künstler muss man sein Publikum lieben“, sagt er. „In den 90ern habe ich versucht, euch alle einzeln zu lieben.“ Der Song „Monsoon“ handelt dann auch von den Mädchen, mit denen Robbie Williams im Bett war – und wie er sich seinerzeit selbst verloren hatte. Die Highs, die Lows, den Sex, die Drogen, selbst die Paparazzi will er heute Abend feiern, proklamiert er. Die Benz-Arena wird so zum gigantischen Beichtstuhl, ja, Williams beichtet alles und bereut doch nichts. Und er feiert, dass wir quasi dabei waren. Viele aus dem Berliner Publikum zumindest, die so zwischen 40 und 50 sind. Dabei, als er mit 16 noch das Nesthäkchen der Boygroup Take That war, gerade mal bei drei Songs die Lead-Vocals übernehmen durfte, aus der Band flog wegen Party- und Drogen-Exzessen. Und wie er dann zu einem der erfolgreichsten Solo-Acts heranreifte, die es in Europa jemals gab.

Nachdem Williams zu „Come Undone“ wie bei einer etwas abgespeckten, aber dennoch mustergültigen Gedicht-Interpretation analysiert, er habe eh immer nur zwei Arten Songs geschrieben (die, in denen er erzählt, wie geil er ist, und die, in denen er nach Rettung schluchzt), fläzt er sich auf die Show-Treppe. Ob wir uns an das Video zur ersten Take-That-Single „Do What U Like“ erinnern, will er wissen. „Am Anfang mussten wir etwas Gay-Porn machen“, erzählt er, sichtlich erfreut. Knackige Jungs sehen wir im Video, die sich ihrer Klamotten entledigen, mit Gelee werfen und selbst ihre blanken Popos zeigen. Im Tagesfernsehen durfte der Clip damals in vielen Ländern gar nicht laufen. „Applaus für meinen Popo“, fordert Williams ein. Na gut, warum nicht, denken sich mutmaßlich 12.000 Menschen in der Benz-Arena.

Der Abend ist eben auch Neunziger-Nostalgie. Williams covert sogar die Britpop-Powerballade „Don’t Look Back In Anger“ von Oasis, auf eine Weise, die den Song zu seinem macht. Laser in Violett und in Türkis tasten sich durch die Arena. Auf dem Oberrang zoffen sich kurz mal drei Frauen, die gerne tanzen und kreischen wollen, mit zweien dahinter, die im Home-Sofa-Modus sind und nicht gar zu viel Action direkt vor sich wollen. Die Tanzkreischenden setzen sich durch. Konfetti regnet auf die Bühne. Williams verwechselt schon mal die Reihenfolge von „beautiful“ und „powerful“ in seinen Texten, egal, ist beides wichtig: wunderschön und wunderstark. In der Ballade „Eternity“ (zu der Williams auspackt, dass er sie für seine Seelenverwandte, das Spice Girl Geri Halliwell, geschrieben habe) erklingt die Stimme von Robbie Williams selbst für seine Standards außergewöhnlich schmerzerfüllt und dann kathartisch  – auch wenn die Streicher vom Band sind.

Für den Fall, dass das Publikum nicht immer super textsicher ist, laufen öfter mal Lyrics über die Leinwand, zum Mitsingen. Teleprompter für die Massen quasi. Das A-cappella zu „Feel“, das Williams seinem Publikum entlocken will, gerät etwas schwach, aber Williams gibt den gutmütigen Leiter der Chor-AG, der zu nachsichtig für Schelte ist. Er weiß wohl: Auch wir sind nachsichtig mit seinen Eskapaden. Und mit seinen albernen (und oft auch deutschen) „Alles fit im Schritt?“-Späßchen. Zu „Candy“ schwirren Lutscher und Bonbons über die Leinwand.

Sagt, er ist glücklicher als je zuvor: Robbie Williams in der Berliner Mercedes-Benz-Arena.
Sagt, er ist glücklicher als je zuvor: Robbie Williams in der Berliner Mercedes-Benz-Arena.Benjamin Pritzkuleit

Nach einer Stretchlimo-langen Version des Dance-Hits „Rock DJ“, bei der sich auf der Leinwand ein Psycho-Hypnose-Tunnel dreht und die Background-Sängerinnen himmelhoch jauchzen und die Gitarren jetzt aber völlig durchdrehen, als müssten sie nicht auch noch ein bisschen Restkraft für morgen sparen, gibt’s noch „No Regrets“ mit stattlichen Blechbläser-Einsetzen und die ergreifende Klavierballade „She’s The One“ – von der Williams, anders als früher, zum Glück nicht behauptet, sie sei einer der besten Songs, die er je geschrieben habe. Sein Durchbruch-Hit war nämlich eine Coverversion der Band World Party. Rosen blühen auf der Leinwand auf wie interaktive Poesiealbum-Sticker.

Gegen Ende des Abends bekommt die fröhlich strahlende Nadja ganz vorne noch eine Auszeichnung von Williams (der inzwischen ein Outfit zwischen Kimono und Geschenkverpackung trägt) als beste Zuhörerin heute Abend (wer wird es wohl morgen sein?), und Williams suhlt sich und uns mit sich noch einmal kurz im Elend: Er habe, sagt er, so viel Alkohol und Koks doch nur zu sich genommen, um die böse Stimme in seinem Kopf zu betäuben, die ihm, wie die Medien, weismachen wollte, er sei ein arroganter Narzisst, der nichts könne. Aber inzwischen wisse er es besser; seit 17 Jahren sei er mit seiner Frau zusammen, so glücklich wie nie zuvor, mit seinen vier Kindern – und ohne einen Tropfen Alkohol seit vielen, vielen Jahren, nach sechs Entzugstherapien. Seine Frau und seine Fans hätten ihn gerettet.

Alle, die zufällig Single sind und keine Fans haben, da sie keine Rockstars sind, mag das nur wenig trösten, deshalb singt Williams noch seine Engelsballade „Angels“: „I know that life won’t break me / When I come to call“. Das Leben wird uns nicht zerbrechen, solange wir Robbie im Radio hören oder in der Arena oder auf dem Heimweg in der S-Bahn, wo einige Fans noch Fanta-Limonade aus ihren Robbie-Bechern nippen, die ja wohl nur fast so süß sein kann wie der Abend bei Robbie fucking Williams selbst.