Schön schwul in Schöneberg: Perfume Genius im Metropol

Perfume Genius ist eine der wichtigsten queeren Stimmen im Indie-Pop. Auf Tourstation im Nollendorfkiez gewann der Sänger am Dienstagabend die Herzen der Menge.

Stachelt das Berliner Publikum zum Abdancen an: Perfume Genius im Metropol.
Stachelt das Berliner Publikum zum Abdancen an: Perfume Genius im Metropol.Berliner Zeitung/Markus Wächter

Fliederfarben flackert das Bühnenlicht weit in den Publikumsraum hinein, bis auf die imposanten, drei Etagen hohen Säulen hier im Metropol. Doch die Blicke zieht natürlich – daran ändert auch dieser spektakuläre Raum nichts – quasi magnetisch Mike Hadreas alias Perfume Genius auf sich, als er im Muskelshirt und in weiten Jeans mit seiner fünfköpfigen Band (Gitarren, Drums, Bass, E-Pianos und Percussion) die Bühne betritt. Die linke Hand stemmt er lässig, fast schon etwas lasziv in die Hüfte und mit der rechten umklammert er fest das Mikrofon, ganz so als wollte er sich daran festhalten: „Your body changes everything“, singt er schmachtend und mit viel Rückhall im gleichnamigen Opener des Konzerts.

Es ist einer der Songs seiner fünften, international gefeierten Platte „Set My Heart On Fire Immediately“. Seit zwei Jahren ist die nun schon draußen, aber pandemiebedingt konnte Perfume Genius damit damals nicht standesgemäß auf Tour gehen. Inzwischen gibt es sogar schon ein sechstes Album, „Ugly Season“, das sich mit seinen orchestralen Arrangements aber weniger für ein Band-Konzert eignet.

Glamouröse Flashbacks ins Berlin der 1920er-Jahre

Der glamouröse Ort passt perfekt zu Perfume Genius: das Metropol im Schöneberger Nollendorfkiez mit seiner 100 Jahre reichen Tradition an queeren Bars. Gar nicht weit weg von hier, in der Zossener Straße, hat in den späten 1920ern ja auch der bahnbrechende schwule Schriftsteller Christopher Isherwood gewohnt, der mit seinem Episodenroman „Goodbye to Berlin“ die Vorlage zum Musical und zum Film „Cabaret“ schuf.

In Isherwoods Tradition queeren Storytellings kann man durchaus auch Perfume Genius sehen, der 2010 auf seinem Debütalbum „Learning“ mit zarten, geradezu fragilen Klavierballaden auf sich aufmerksam machte. In „All Waters“, dem Nachfolge-Album, sang Perfume Genius dann geradezu herzzerreißend davon, wie sehr er sich das als schwuler Mann wünsche, furchtlos die Hand seines Freundes zu fassen, auf jeder noch so menschenvollen Straße. Und wo sollte das besser möglich sein als hier in Schöneberg, im Nollendorfkiez?

Entsprechend fühlt es auch das Publikum: viele Männer- und auch Frauenpaare halten einander, offensichtlich glücksbeseelt. Viele Perlenketten (zweifelsohne das Unisex-Accessoire dieser Saison) funkeln im Saal. Auffällig jung ist das Publikum: Viele dürften jünger sein als Perfume Genius selbst, der 40 ist, aber in seiner peter-pan-haften Erscheinung auch als eine Dekade jünger durchgehen könnte. Noch etwas zurückhaltend klingt seine Stimme bei den ersten Songs des Abends. Es scheint, als müsste er sich seinen Klangraum erst noch erobern, gegen die fiesen, noisigen Gitarren-Feedbacks, die wohl unfreiwillig gelegentlich durch den Raum donnern.

Perfume Genius im Metropol
Perfume Genius im MetropolBerliner Zeitung/Markus Wächter

Wider die Scham beim schwulen Sex

Perfume Genius klopft sich auf die Brust, wie um sich selbst Mut zu machen; dann räkelt er sich sexy am Mikrofonständer wie ein Tänzer beim Poledance, nur um den Ständer dann in die Horizontale zu drehen und gegen die Schwerkraft gen Himmel zu schieben, wie ein Priester eine Hostie beim Hochamt gegen die Schwerkraft. Das Publikum johlt.

Nach so viel Action hat sich Perfume Genius ein bisschen Chillen verdient: Er nimmt Platz auf einem gepolsterten Stuhl, der so prinzenhaft aussieht, als hätte man ihn gerade frisch dem Schloss Sanssouci entwendet. Im Song „Jason“ geht es dann um die Nacht, die das lyrische Ich (mutmaßlich Mike Hadreas selbst) mit einem anderen Mann verbringt. Dieser titelgebende Jason zieht im Lied den Sänger aus, wagt aber nicht, auch die eigenen Hüllen fallen zu lassen. Stattdessen kullern schamgepeinigte Tränen. Und im Song klingt an, dass das an der Gesellschaft liegt, die eben bis in die jüngere Vergangenheit hinein fast ausschließlich heterosexuelles Begehren als statthaft absegnete. So greift dann das Politische ins Private – und vice versa.

Gegen diese Scham am Schwulsein singt Perfume Genius seit Jahren an und machte somit im Indie-Pop den Weg frei für jüngere selbstbewusst queere Acts, die inzwischen größere Erfolge feiern. Er, der er einst selbst auf der Schule in Seattle Opfer homophoben Mobbings wurde, die Schule schmiss und nach New York ging, um die Freiheit zu finden, aber erst mal traumatisiert und schwer drogenabhängig wurde. Um diese harte Zeit ging es oft, wenn auch chiffriert, auf den frühen Alben.

Disco-Posen wie im Ballroom

Inzwischen kann Perfume Genius aber neben Trauma-Ballade auch Tanzbodenkracher. Das wird auch dem letzten klar bei „On The Floor“, einer unbeschwerten Partyhymne, mit der Perfume Genius das Publikum zum Abdancen bringt und zu Disco-Posen wie im Ballroom anstachelt. Perfume Genius wiegt sich in Vor- und Rückbeugen, auf die jeder Yogalehrer stolz wäre.

Das Licht leuchtet perlmuttfarben, während er das Mikrofonkabel peitschend schwingt, als wäre es eine Schlange – und er der Schlangenbeschwörer. Bei anderen Songs hat man fast das Gefühl, als würde er am Mikro schlecken wie an einem Eis – oder einem Schwanz. So viel zum Kampf wider die Scham! Wer Perfume Genius auf seinen frühen Touren erlebt hat, wo er sich meist schüchtern hinter seinem Klavier versteckt hat, kann  bei diesem Anblick nur staunen. Die E-Pianos spielt diesmal fast ausschließlich sein langjähriger Boyfriend Alan Wyffels, der dabei auch mal eine Harfe imitiert. Deutlich mehr Klangraum nehmen aber die zunehmend krachigeren E-Gitarren ein, über dem ausrastenden Schlagwerk.

„Set My Heart On Fire Immediately“, so heißt das Album, mit dem Perfume Genius auf Tourstation nach Berlin kam. Und ja: Die Herzen der inzwischen schweißnassen, aber bestens parfümierten Crowd hat er zweifelsohne, wie der Titel es einfordert, entfacht und auf Betriebstemperatur gebracht zum Lieben und Liebenlassen. Zum Finale hin sitzt Perfume Genius wie auf einem Thron, auf den sich eine gigantische Wolke aus Tütü-Tüll legt, die, je nach Lage des Lichts, auch als ein riesiger Sahnetupfer oder als runtergerocktes Brautkleid durchgehen könnte.