Seestern-Drones mit Promifaktor: Jim Jarmusch ließ die Volksbühne krachen
Jim Jarmusch, Meister des Arthouse-Kinos („Only Lovers Left Alive“), ist auch Musiker. Wie klang der Auftritt seiner Band Sqürl am Samstag in Berlin?

Der Name Jim Jarmusch zieht. Man ist entsprechend wenig verwundert, dass der Saal der Volksbühne am Samstagabend proppenvoll und ausverkauft ist, als der New Yorker Meister des Independent-Kinos („Down By Law“, „Broken Flowers“) dort mit seiner Band Sqürl gastiert. Sqürl ist ein Instrumental-Duo, mit dem Jarmusch schon Soundtracks für seine eigenen Filme eingespielt hat, zum Beispiel für seine Vamp-Romanze „Only Lovers Left Alive“. Jarmusch, der gerade seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, bedient in der Band Gitarre und Synthesizer; sein Kompagnon, der Schauspieler und Filmproduzent Carter Logan, spielt Schlagzeug und ebenfalls Synthesizer. An diesem Abend vertonen die beiden aber keine eigenen Werke, sondern vier Kurzfilme von Man Ray.
Unprätentiös und unauffällig geben sich Jarmusch und Logan während ihres Auftritts. Nahe dem rechten Bühnenrand steht der lange Schlacks Jarmusch – schwarzes Hemd, dunkle Hose, grauer Haarschopf – vor seinen beiden Gitarrenverstärkern oder sitzt hinter einem kleinen Tischchen, auf dem er fein säuberlich seine Effektgeräte platziert hat. Zentral auf der Bühne hat sich Logan hinter seinem Schlagzeug verschanzt, an dem er noch Schnickschnack wie ein selbstgebautes Windspiel angebracht hat; seitlich neben ihm stehen seine Synthesizer.
Zum Warm-up spielen die beiden ein Instrumental ohne Bewegtbild; dieses Stück soll den Weg für den weiteren Abend weisen. In langsamem Tempo groovt sich das Duo ein, Jarmuschs Gitarre dröhnt dräuend vor sich hin, meist auf wenigen Grundtönen verharrend, Carter gibt mit seiner wuchtig-durchdringenden Bassdrum und mit Snare quasi das Metronom dazu. Guter Zeitlupenrock im Stile von Bands wie Earth und der frühen Melvins ist zu hören, unter Einsatz von Drones, also lang tönenden, verzerrten Gitarrensounds. Jarmusch hat mal gesagt, ihn interessiere die Gitarre nicht als Instrument, das es zu beherrschen gelte, sondern als Klangerzeuger. Auf der Bühne übersetzt er diese Aussage in Aktion, er beugt sich vor seine beiden Verstärker, schwenkt dabei langsam die Gitarre und lässt sie einfach nur Krach machen und klingen.
Frauenbeine am Strand
Auch die Filme Man Rays unterlegen Sqürl überwiegend mit Drones und flächigen Synthesizer- und Gitarrentönen. Die experimentellen Werke des Dadaisten und Surrealisten Man Ray (1890–1976) sind überwiegend abstrakt, collagenartig, gelegentlich schemenhaft – sie eignen sich hervorragend dazu, mit schrägen Klängen kombiniert zu werden. Den Anfang macht „L’étoile de mer“ („Der Seestern“) aus dem Jahr 1928, besagtes Meergetier spielt auch die Hauptrolle in dem 18-Minüter. Der Seestern wird immer wieder in verschiedenen Varianten abgebildet, lebendig wie tot, zwischendurch sieht man ein Pärchen in einem Park, Strandszenen sowie Frauengesichter, -beine und -schuhe. Sqürl kreieren flirrende, dunkle, langsame Sounds dazu; einzig als im Film Papier über einen Strand fegt, zieht das Tempo der Musik gleich mit an, es entstehen bedrohlichere Klänge.
Bei „Emak Bakia“ (1926), Baskisch für „Gib uns eine Pause“, funktionieren Film und Musik ganz ähnlich zusammen. Auch dieser Film ist collagenartig, beginnt ungegenständlich, ehe scheinbar willkürlich aneinandergereihte Szenen zu sehen sind: eine Autofahrt, tanzende Frauenbeine, das Meer, Fische. Mit sphärischen Sounds unterlegen Sqürl diese Szenen zunächst, zwischenzeitlich spielt Logan dann ein hüpfendes, galoppierendes Schlagzeug in flotterem Tempo. Ursprünglich komponierte übrigens Django Reinhardt, der französische Jazz-Avantgardist, die Filmmusik zu „Emak Bakia“.
Brummig und wummernd
Beim kürzesten und abstraktesten Film des Abends an der Volksbühne, dem Dreiminüter „Le retour à la raison“ (1923) wird es richtig wuchtig und krachig. Dank des tollen Sounds in der Volksbühne wird der Soundtrack zum Ganzkörpererlebnis; die Bassdrum und die verzerrte Gitarre lassen den Körper durchzucken, während man sich von Man Rays flackernden Figuren und Formen irritieren lässt. Der abschließende Film „Les mystères du château de dé“ (1929) ist dann etwas linearer, es ist eine Handlung erkennbar. Man folgt zwei Personen auf ihrer Reise von Paris zur berühmten Villa Noailles bei Marseille, einem Inbegriff der Moderne damals, mit architektonischen Anleihen an Bauhaus, Kubismus und De Stijl. Man Ray lässt die Villa zur Spielwiese werden, filmt seine mit Strumpfhosen maskierten Darsteller:innen in der Schwimmhalle, im Gymnastikraum, auf dem üppigen Außengelände des Hauses. Die Kunstgegenstände aus der Villa rauschen derweil durchs Bild, die Darsteller:innen rollen mit dem Rhönrad über das Gelände. Sqürl begleiten diese Szenen mit brummigen und wummernden Klängen, Jarmusch widmet sich nun wieder ganz der Gitarre und testet aus, was die beiden Röhrenverstärker hergeben.
Als die Filme zu Ende sind, folgt: nichts. Kurze Verbeugung, das war’s. Weder der lang anhaltende Applaus noch das Geschreie eines Fans aus den hinteren Reihen können Sqürl zu einer Zugabe bewegen.
Vielleicht zeichnet es ja große Künstler aus, dass sie der Kunst dienen. Das haben Sqürl an diesem Abend zweifelsohne getan. Mit ihrer nie zu aufdringlichen musikalischen Begleitung haben sie den Fokus auf die starken Bilder Man Rays gelenkt. So hat man die beeindruckenden Schwarz-Weiß-Filme noch mal großformatig und im Jarmusch-Surround-Sound sehen dürfen. Die Drones waren laut und dicht, Gitarre und Schlagzeug kamen mit Doppelwumms daher, ohne dass ein Überwältigungssound entstanden wäre. Und auch wer an diesem Abend nur wegen des Promifaktors in die Volksbühne gekommen war, dürfte den Besuch nicht bereut haben.