Sonne, LSD und Sex-Skandale: 40 Jahre Red Hot Chili Peppers
Am 14. Februar 1983 treten die Red Hot Chili Peppers erstmals öffentlich auf. Sie haben nur einen einzigen Song dabei – der haut dafür umso mehr rein.

An einem heißen Junitag im Jahr 1978 klettern zwei Teenager über die Dächer von Los Angeles und halten nach dem nächstbesten Pool Ausschau, um von ganz oben hineinzuspringen. Die beiden Jungs heißen Anthony Kiedis und Michael Balzary, haben sich erst vor wenigen Monaten an der Fairfax Highschool kennengelernt und gerade einen dicken Joint zusammen geraucht. Es kann also losgehen.
Das mit dem Über-die-Dächer-Klettern-und-in-Pools-Springen ist bereits zur Routine geworden, das mit den Joints auch, auch wenn Anthonys Vater von der Kombination nicht so begeistert ist. Bekifft, hatte er gewarnt, kann das extrem gefährlich werden. Aber Anthony hört nicht auf seinen Vater, der beruflich Drogen verkauft und selbst ständig high ist.
Der Pool, in den sie diesmal springen wollen, hat die Form einer großen Träne. Anthony und Michael beschließen, heute nicht vom zweiten Stock, sondern von ganz oben zu springen. Das macht schließlich noch mehr Spaß, und insbesondere Anthony hat inzwischen eine ganze Reihe verschiedener Stile entwickelt.

Sie sollen sofort da runterkommen, schimpft ein wütender Nachbar, aber das ist den beiden Jungs egal. Anthony setzt er sich auf das Geländer, sagt dem schimpfenden Nachbarn, dass er sich ficken soll, und springt, ohne noch einmal nach unten zu sehen, los. Schon im Sprung merkt Anthony, dass das nichts wird. Zu beherzt, mit zu viel Schwung ist er abgehoben. Der Junge fliegt ein paar Meter durch die Luft und landet schließlich neben der Poolträne auf seinen Hacken. Wie betäubt fällt er hintenüber ins Wasser und schafft es geistesgegenwärtig, sich am Poolrand festzuklammern.
So eine Scheiße, brüllt Michael, als er die Flucht ergreift. Einer der Nachbarn ruft einen Krankenwagen, und Anthony wird mit Blaulicht ins Krankenhaus gefahren. Die Diagnose: Das Rückgrat ist gebrochen, die Fersen verstaucht. Anthony bekommt Besuch von seinem wütenden Vater, von Michael sowie seinem weiteren besten Freund, Hillel Slovak. Ob der ihm nicht helfen könne, fragt ihn Anthony.
Er halte es hier nicht mehr aus, trotz der netten Krankenschwestern, die ihm immer wieder unter der Hand Schmerzmittel gegeben haben. Hillel fährt seinen Wagen vor, Anthony schwingt sich mit nacktem Arsch aus dem Krankenbett. Die mahnenden Worte des Pflegepersonals, er müsse mindestens zwei Wochen hier liegen, um seine Wirbel wieder auseinanderzuhebeln, schlägt er in den Wind.

Die Geschichte mit dem verunglückten Poolsprung steht exemplarisch für den Lebensstil eines Anthony Kiedis, der immer hoch hinauswollte, für den es nie genug gab, nicht mal mit gebrochenem Rückgrat. Michael Balzary wird bald den Künstlernamen Flea annehmen und zu einem der besten Bassisten der Welt werden. Hillel Slovak, der Freund, der Anthony aus dem Krankenhaus schmuggelte, wird erster Gitarrist der Red Hot Chili Peppers, doch nur zehn Jahre später an einer Überdosis Heroin und Kokain sterben und die junge Band in eine tiefe Krise stürzen. Aber der Reihe nach.
Strand, Sonne, gute Laune und der leicht säuerliche Geschmack von LSD auf der Zunge – vermutlich hat keine Band so sehr das Klischee der kalifornischen Sorglosigkeit in sich aufgesogen wie die Red Hot Chili Peppers. In der Musik, die die Band im Schmelztiegel von Los Angeles erfunden hat, haben sich die Stile Funk, Punk und HipHop dermaßen ineinander verwachsen, dass sie eine neue, bis dahin nicht bekannte Einheit bildeten.

Die Red Hot Chili Peppers sind eine Band, die vom Exzess geprägt ist, von stundenlangen Jamsessions in Garagen und Kellern, von wilden Partys, heftigem Streit und vielen Wechseln, Abschieden und Versöhnungen. Acht Gitarristen und vier Schlagzeuger hat sie in ihren 40 Jahren bereits verschlissen, die einzigen beiden Konstanten im Bandgeschehen bleiben stets Michael Balzary alias Flea am Bass und Anthony Kiedis als Sänger. Mit dem Ende der Achtziger dazustoßenden John Frusciante (der den genialen Hillel Slovak ersetzt) sowie Chad Smith am Schlagzeug findet sich letztendlich die Kernbesetzung, mit der die Band ihre größten Erfolge feiern wird.
Doch schon ihre Gründung war eher ein Unfall, als sie am 14. Februar in der Rhythm Lounge in Long Beach als Support auftreten. Die Band, die sich dort noch Tony Flow and The Majestic Masters of Mayhem nennt, hat mit „Out in LA“ nur einen einzigen Song zu bieten – der haut dafür so sehr rein, dass der Clubbesitzer sie bittet, doch nächste Woche wiederzukommen. Nur wäre es nicht schlecht, wenn sie bis dahin einen zweiten Song hätten.
Nach nur wenigen Monaten hat sich die Band eine so große Fangemeinde erspielt, dass sie als einer der heißesten Acts der Stadt gilt. Doch kurz vor den Aufnahmen zur ersten Platte zerbricht die Einheit der vier Highschool-Freunde. Gitarrist Hillel Slovak und Schlagzeuger Jack Irons ziehen ihre Jugendband What is This vor, und so muss schnell Ersatz gecastet werden. Die Aufnahmen fürs Debüt sind eine Katastrophe.
Dass der Produzent in künstlerische Entscheidungen mit eingebunden wird und hin und wieder auch harte Entscheidungen treffen muss, passt den beiden jungen Punkern überhaupt nicht. Und dann wagt er es auch noch, Anthony zu Gesangsunterricht zu raten. Als das Endergebnis endlich gemeinsam gehört wird, sind Flea und Anthony derartig von der Rolle, dass sie Gill bitten, alles in die Tonne zu werfen und das Ganze nochmal neu aufzunehmen. Die Platte mit dem schlichten Titel „The Red Hot Chili Peppers“ und dem quietschbunten, LSD-angehauchten Cover liegt 1984 wie Blei in den Läden, keiner der Songs schafft es ins Radio und in die Charts erst recht nicht. Der rohe Sound der Band, wie sie ihn live spielten, ist auf der Platte nicht zu erahnen.

Es dauert noch Jahre, bis die Band kommerziell erfolgreich wird. Doch auch ihr sexistisches Verhalten sorgt dann landesweit für Schlagzeilen: Am 21. April 1989 klopft die Studentin Joan A. Crown an die Tür des Backstage-Raums im George Mason University Patriot Center in Fairfax, Virginia. Die Mitorganisatorin des Konzertabends hatte angeboten, die Red Hot Chili Peppers nach dem Auftritt zu ihrem Hotel zu fahren, als ihr ein splitterfasernackter Anthony die Tür öffnet und sie dazu drängt, hereinzukommen. Anthony wird noch am selben Abend wegen exhibitionistischen Verhaltens sowie sexueller Belästigung verhaftet und gegen Kaution freigelassen. Ein Gericht spricht ihn wenige Monate später schuldig und verurteilt ihn zu einer Geldstrafe von 1000 Dollar.
Ein Jahr später (die Band spielt „Knock Me Down“ als Playback auf einer von MTV organisierten Party) zerren Flea und Chad eine junge Frau auf die Bühne und versuchen, ihr den Badeanzug vom Leib zu reißen. Auch sie werden dafür zu einer Geldstrafe verurteilt. Solches Verhalten ist mit nichts zu rechtfertigen, auch nicht mit den teilweise gewaltvollen Biografien der Bandmitglieder und dem Aufwachsen eines Anthony Kiedis auf den ständigen Drogen- und Sexpartys seines Vaters.

Zur traurigen Wahrheit gehört leider auch, dass die Red Hot Chili Peppers mit ihrem Verhalten keine Ausnahme bilden. Sexismus und sexualisierte Gewalt gehörten und gehören weiterhin zum Alltag in der Musiker- und Künstlerszene und wurden lange Zeit von Medien normalisiert. Erst die in den letzten Jahren aufkommende MeToo-Bewegung versucht Stück für Stück aufzudecken, wie häufig und permanent Frauen von Männern sexuell genötigt werden; und so mancher Fan musste sich bereits von lieb gewonnen Idolen verabschieden.
Die Empörung währt jedoch kurz. Es folgen 145 Konzerte in fast zwei Jahren: Der immense Erfolg ihres 1991 erschienenen Albums „Blood Sugar Sex Magik“ bringt für die Red Hot Chili Peppers einen Rattenschwanz an Auftritten mit sich. Zum ersten Mal tourt die Band durch die komplette Welt und spielt alleine in den USA fast 100 Shows. Die letzten Etappen wird sie mit einem neuen Gitarristen absolvieren müssen. Denn im Mai 1992, kurz vor ihrem Auftritt in Tokio, verkündet John Frusciante für die Band völlig überraschend seinen Austritt. Er möchte nicht mehr, schreit er im Backstage-Raum, er habe Angst, jemand aus dem Publikum wolle ihn umbringen. Auch hier hat Heroin eine entscheidende Rolle gespielt.
Frusciante hatte lange versucht, seine entstandene Abhängigkeit vor der Band zu verheimlichen: Er konsumiert viel Rotwein, kifft, und sobald die Luft rein ist, setzt er die Spritze an. Der Gitarrist isoliert sich vom Rest der Bandmitglieder, die fast alle ihre eigenen Probleme haben. Die Band ist innerhalb weniger Monate von einer L.A.-bekannten Szeneband zu Weltstars aufgestiegen. Wer so viel auf Tour ist, muss sich fast zwangsläufig von seiner Familie entfremden. Das Problem ist in Musikerkreisen durchaus bekannt, ebenso das Verlangen, die ständigen emotionalen Auf und Abs mit Drogenkonsum zu übertünchen.

Flea gelingt es Jahre später, Frusciante zu einem professionellen Entzug und einer Psychotherapie zu überreden. 1999 kehrt er zurück. Und mit „Californication“ gelingt der Band das Comeback. Das Album gilt vielen als bestes der Band, die zum ersten Mal vollkommen drogenfrei lebt. Es sind die erfolgreichsten und musikalisch kreativsten Jahre der Band. Bis es John Frusciante abermals zu viel wird. Sein erneutes Comeback 2019 wird von Fans gefeiert. Die erste gemeinsame Studio-Session ist so produktiv, dass sie Material für zwei Alben einspielen, die sie 2022 im Abstand von wenigen Monaten veröffentlichen: „Unlimited Love“ und „Return Of The Dream Canteen“.
Musikalisch sind die Red Hot Chili Peppers eine der besten Bands der Welt, mit teilweise einzigartigen Fähigkeiten an ihren Instrumenten. Doch sollte eine Band, die sich ihre Adoleszenz, ihren Sexappeal und ihre wilde Ekstase auf die nackte Brust geschrieben hat, sich wirklich noch im hohen Alter der Illusion hingeben, alles sei wie früher? Vermutlich nein. Aber bitte löst euch erst auf, nachdem ich euch noch einmal live gesehen habe!
Bei dem Text handelt es sich um gekürzte Auszüge aus Paul Christoph Gäblers Buch „Red Hot Chili Peppers – 40 Jahre Rockgeschichte“, das gerade im Riva-Verlag erschienen ist.