„Spam“: Spandau hat ein Festival für Alte Musik und rekonstruiert die Oper „Dafne“
Das Festival „SPAM – Spandau macht Alte Musik“ präsentiert noch bis zum Sonntag Konzerte zur Passion.

Einen Tag nach der Premiere der „Daphne“ von Richard Strauss an der Staatsoper konnte man in der Zitadelle Spandau beim Alte-Musik-Festival „SPAM“ eine über 300 Jahre ältere Opern-Version des antiken Stoffs hören. Oder war sie in Wirklichkeit 80 Jahre jünger?
„Dafne“ von Heinrich Schütz 1627 auf einen Text von Martin Opitz komponiert sei die erste deutsche Oper – so hat man es mal gelernt. Das Libretto ist erhalten, die Partitur im Siebenjährigen Krieg verbrannt. Daher gibt es alle möglichen Mutmaßungen, ob das nun wirklich eine Oper im Sinne Monteverdis war oder nur Musik zu einem Schauspiel. Roland Wilson, Zinkenist und Gründer des Ensembles Musica fiata, hat in den ersten Corona-Monaten vor drei Jahren den Versuch gestartet, diese „Dafne“ zu rekonstruieren. Leitend war der Gedanke, dass schon Opitz’ Libretto die Übersetzung eines in Italien mehrfach vertonten Originals war und daher die monodischen Rezitative von Schütz vielleicht auf der Grundlage der Vertonung von Marco da Gagliano von 1608 bearbeitet wurden. Schütz’ „Dafne“ könnte also ein Pasticcio sein. Wilson suchte in der Schütz-Gesamtausgabe nach Stücken, die auf Opitz’ Verse und ihren Affekt passten, und wurde für nahezu alle Teile fündig.
Wie „authentisch“ das Ergebnis ist, lässt sich nicht beurteilen. Eher schon, wie opernhaft es ist: nicht sehr. Schütz’ Musik hat kaum szenische Qualität – darin ist sie sehr deutsch. In den Ensembles und Liedern schlägt sie eher eine innere als eine äußere Bühne auf, die instrumentalen Zwischenspiele wirken gestelzt. Wenn plötzlich Claudio Monteverdis Kammerduett „Chiome d’oro“ anklingt, das Schütz selbst zu einer Aria bearbeitet hat und von Wilson hier dem Apollo zugeordnet wird, dann treffen Wohlklang, Bewegung und Ausdruck plötzlich ins Herz, weil sich Pathos und Ethos die Waage halten. Schütz und Opitz dagegen zeigen in ihrer protestantischen Staubigkeit eine Neigung zur Belehrung, die sich besonders in überlangen Aktschlusschören niederschlägt. Der Trauergesang für Schütz’ verstorbene Frau als Einleitung zu Apollos Klage über die flüchtige Nymphe, die hart chromatisch gefügten Tutti-Akkorde zur Bezeichnung von Dafnes Verwandlung in den Baum – das alles macht dennoch Eindruck.
Der Rias-Kammerchor singt in Spandau Renaissancemusik
Und sieht man von der hemdsärmligen szenischen Umsetzung einmal ab, macht auch die Aufführung Eindruck. Zwar könnte man sich die farblichen Möglichkeiten der großen Continuobesetzung mit Orgel, Regal, Cembalo, Harfe und zwei Lauten noch gezielter ausgespielt denken, aber Wilson an Zink und Blockflöte bringt die Musik so dezent wie nachdrücklich in Bewegung, und die Musica fiata mit ihren Posaunen und Gamben geht mit flexibler Dynamik und Artikulation auf die textlichen Angebote ein. Tobias Hunger und Marie Luise Werneburg gestalten Apollo und Dafne detailliert und charakteristisch.
Das Festival „SPAM – Spandau macht Alte Musik“ präsentiert noch bis zum Sonntag Konzerte zur Passion, am Mittwoch singt Vox nostra mittelalterliche Musik, am Freitag präsentiert das Ensemble Continuum seine „Johannespassion à trois“ und am Sonntag singt der Rias-Kammerchor mit Renaissancemusik. Die Alte Musik in Berlin wartet zwar mit hochkarätigen Ensembles auf, aber mit wenig Organisation – daher ist „SPAM“ eine große Zukunft zu wünschen.