Tony Marshall, der Vorsänger der deutschen Spaßgesellschaft, ist tot
Er starb mit 85 Jahren. Der Schlager „Schöne Maid“, mit dem er erfolgreich wurde, müsste sich heute den Vorwurf kultureller Aneignung gefallen lassen.

Die gesellschaftliche Gefühlslage war Anfang der 70er-Jahre auf Stimmung aus, und sie schien durch kaum etwas besser zum Ausdruck gebracht werden zu können als durch den Schlager. Der stand 1971, als Tony Marshall das von Jack White produzierte Maori-Volkslied „Schöne Maid“ in einer deutschen Fassung herausbrachte, hoch im Kurs. Perkussive Rhythmen und ein weitgehend sinnfreier Text transportierten folgenlose Fröhlichkeit, ein bisschen Alkohol konnte dabei nicht abträglich sein. Tony Marshall, der 1938 unter dem bürgerlichen Namen Herbert Anton Bloeth in Baden-Baden geboren wurde, hat sich eigenen Angaben zufolge vor der Aufnahme betrunken in der Hoffnung, von dem Berliner Produzenten Jack White, der vorübergehend Präsident des Fußballklubs Tennis Borussia war, aus dem Studio geworfen zu werden.
In der Rückschau passt gerade diese Legende zum Erfolg des Liedes, das zum Klassiker argloser Unterhaltungsmusik wurde. Tony Marshall war ausgebildeter Opernsänger, 1965 bestand er das Staatsexamen an der Karlsruher Musikhochschule. Wie viele seiner Kollegen, denen er in der ZDF-Hitparade begegnete, zog er es vor, musikalische Ambitionen zugunsten der Popularität des Schlagers zu begraben. Jack White war dabei ein geschickter Geburtshelfer. Er hatte das Potenzial der Maori-Volksweise „Nau haka taranga“ erkannt und schon deshalb adaptiert, weil sie urheberrechtlich nicht gebunden war.
Tony Marshall war Ehrenbürger von Bora Bora
Tony Marshall war zunächst nicht begeistert von der Festlegung auf einen einfältigen Muntermacher, fügte sich später aber mit Liedern wie „Heute hau’n wir auf die Pauke“ und „Ich fang für euch den Sonnenschein“ in den einmal eingeschlagenen Weg. Mit „Bora Bora“ versuchte er sich später erneut an einem polynesischem Volkslied, was ihm 1978 die Ehrenbürgerschaft von Bora Bora einbrachte. Vom Makel der kulturellen Aneignung war damals noch nicht die Rede.
„Schöne Maid“ blieb das erfolgreichste Stück von Tony Marshall, es wurde vielfach gecovert, unter anderem von den Toten Hosen, und Jack White arrangierte es für ein Album der deutschen Fußballnationalmannschaft zur Weltmeisterschaft 1974.
Als der Schlager ironisch wurde
Als der deutsche Schlager nicht zuletzt durch die Erfolge der Neuen Deutschen Welle in kommerzieller Hinsicht starke Einbußen hinnehmen musste, war Marshall sich nicht zu schade, auch auf Volksfesten und bei Einweihungen von Möbelhäusern aufzutreten. Die in musikalischer Form ausgedrückte gute Laune, die zu Beginn der 70er-Jahre noch vom kollektiven Gefühl geprägt war, dem Krieg entkommen zu sein, ging nun in einen vom Pop angetriebenen Party-Modus über, in dem man den Schlager bevorzugt ironisch rezipierte. Gerade das aber ermöglichte Tony Marshall, der zwischenzeitlich auch in Musicals und Opern aufgetreten war, ein Comeback in der Endlosschleife der Gemütlichkeit. Nun ist er im Alter von 85 Jahren gestorben.