Wassermusiken: Daniel Harding dirigiert Auftakt der philharmonischen Biennale
Harding wirkt bei Ligeti arm an dirigentischer Initiative. Der Wechsel zwischen den Stilen der Wasser-Musiken jedoch gelingt ihm meisterhaft.

Wenn die Berliner Philharmoniker sich einmal der neuen Musik widmen wollen – dann ist die erstens schon 60 Jahre alt und zweitens fallen die vorgesehenen Dirigenten aus. Kirill Petrenko wollte zum Auftakt der ersten philharmonischen Biennale anlässlich des 100. Geburtstags György Ligetis auch eine Uraufführung dirigieren, musste aber wegen einer Nachbehandlung seines Fußbruchs aus dem letzten Jahr absagen, und sein Einspringer Daniel Harding wollte oder durfte diese Einstudierung nicht übernehmen. Allerdings suchte auch er stattdessen keine Werke aus den 1950er- und 60er-Jahren aus, die das Biennale-Programm eigentlich prägen sollen. Den beibehaltenen Werken Ligetis und Debussys „La Mer“ stellte er aber musikalisch überaus Passendes von Jean Sibelius und Benjamin Britten an die Seite.
Ligetis „Atmosphères“ (1961) und „Lontano“ (1967) sind Werke über den Verlust musikalischer Kontur. Die zunehmende Bedeutungslosigkeit von Intervallen, Rhythmen und damit des Sprachcharakters von Musik, den Ligeti der seriellen Musik attestierte, wollte er nun vollstrecken und schrieb Stücke, die nur aus Klang bestanden. Indem er jedoch diesen Klang konsequent formte, entstand Musik, an der sich das Hören durchaus wieder festhalten konnte – deswegen waren die Stücke überaus erfolgreich, und ihr imaginatives Angebot qualifizierte sie sogar zu filmmusikalischen Einsätzen.
Allerdings muss man auch sagen: Diese Werke haben trotz ihrer immensen handwerklichen Qualitäten die Zeit nicht unbeschadet überstanden. Alles Ältere wirkte komplexer, vielfältiger, widersprüchlicher als die programmatischen Ankerpunkte. Zum Beispiel Sibelius’ „Okeaniden“: Eine tonale Musik, die zuweilen sogar folkloristisch tönt, mit Sturmfiguren und Paukenwirbeln auch rhetorisch ständig an Bekanntes anklingt, aber nirgends eine feste thematische Gestalt präsentiert.
Beifall, der hochgradig irritiert sofort wieder zusammenbricht
Immer scheint sich gleich etwas zu konstellieren, aber die Steigerung gegen Ende führt nur zur Präsentation eines prachtvollen Dreiklangs, der dann wieder abebbt. Das ist noch über 100 Jahre nach der Entstehung so irritierend, dass der Beifall hochgradig irritiert sofort wieder zusammenbricht. Das Gegenteil sind Brittens „Four Sea-Interludes“ aus „Peter Grimes“: Hier ist zwar fast jede musikalische Gestalt in permanenter Dehnung und Evolution begriffen, aber doch klar fassbar – und grandios instrumentiert. Dazwischen steht „La Mer“: Debussys Wasser-Studie enthält zwar klare motivische Zellen, setzt sie aber einem ständigen Wechsel des klanglichen Klimas aus.
Harding wirkt bei Ligeti arm an dirigentischer Initiative. Der Wechsel zwischen den Stilen der Wasser-Musiken jedoch gelingt ihm meisterhaft: Weder verschleudert er Brittens Effekte, noch verliert er sich in Sibelius’ oder Debussys Details, und mit den Philharmonikern gelingt ihm eine je andere Tönung des Orchesterklangs.