Rotzbengel im Namen der Liebe: Yungblud macht den Rock 'n' Roll fit für Gen Z

Zu seinen Fans zählen Mick Jagger, Ozzy Osbourne und Placebo. Nummer-1-Alben? Für Yungblud kein Problem. Wir haben mit dem jungen Überflieger gesprochen.

Sagt, sein großer Mund sei eine Frage der Narben: Yungblud
Sagt, sein großer Mund sei eine Frage der Narben: YungbludTom Pallant/Universal

Seine punkroten Haare hat sich Dominic Harrison gerade kajalschwarz überfärbt. Lasziv kaut er Kaugummi, als wir ihn im Videochat anrufen. Kaugummis chillen den ADHS-geplagten Klassenclown mit chronischem Autoritätsproblem etwas runter. Kürzlich hat er eine Linie mit Schmuckstücken herausgebracht, in die angeblich von ihm selbstgekaute Kaugummis eingearbeitet sind, nebst mehr (oder weniger) kostbaren Schmucksteinchen. „Ich kaue eh die ganze Zeit“, sagt Harrison im Chat und lacht. „Alle reden permanent über meinen Mund: dass ich große Lippen, große Zähne, eine große Klappe hätte. Bis hin zu dem abwegigen Gerücht, dass meine Lippen künstlich operiert wären. Dabei bin ich einfach als Kind oft auf die Fresse gefallen. Da hat sich wohl etwas Narbengewebe gebildet.“ Harrison schwenkt mit der Handykamera auf seinen Mund und lacht frivol.

Die große und dabei doch unfassbar charmante Klappe hat ihn in den letzten Jahren weit gebracht: Dominic Harrison, 25, der sich auf der Bühne Yungblud nennt, gilt vielen als der Typ, der den Rock ’n’ Roll klarmacht für die Generation Z. Dafür bekommt er den Segen von prominenten Fans. Zu denen zählen Mick Jagger (der ihm seine Gitarre schenkte), aber auch der „Prinz der Dunkelheit“ Ozzy Osbourne (der mit Yungblud ein Video drehte) und Brian Molko, Sänger der Emo-Glamrocker Placebo – mit dem auch ein gemeinsames Projekt ansteht, über das noch keine Details ausgeplaudert werden dürfen.

Der Rolling Stone, das wichtigste Musikmagazin der Welt, setzte Yungblud jüngst auf sein Cover. Und auch das große Publikum beißt an: Nachdem Yungbluds Debütplatte „21st Century Liability“ 2018 sich als Longseller entpuppte, der in seinem Heimatland, dem Vereinigten Königreich, immerhin Silber ergatterte, sprangen die Nachfolger „Weird!“ 2020 und „Yungblud“ 2022 schnell auf Platz 1 der UK-Album-Charts – und auch in Deutschland aufs Siegerpodest, auf einen stolzen dritten Platz.

Klanglich erfindet Yungblud das Rad, geschweige denn die Welt nicht neu: Waren seine ersten beiden Platten noch stark eklektisch (mit zahlreichen HipHop-Verweisen auf Cypress Hill und die Beastie Boys) geprägt, so ist das aktuelle Album nun bei einer Re-Interpretation von Linkin Park und anderen, in jedem Fall in den späten 90ern und zur Jahrtausendwende verorteten Nu-Metal-Acts angelangt. Also in etwa der Zeit, als Yungblud selbst noch ein Yungbaby war. Und dennoch: Es braucht einen wie Yungblud, der mit seinem Herz auf die Kacke haut. Und so furios wie er macht das zurzeit nur er. Alles eine Frage der Attitüde.

Und natürlich der Energie. Wie etwa, als Yungblud vor ziemlich genau einem Jahr das Berliner Café Kranzler am Kudamm bestieg – und dort für seine Fans auf der Dachterrasse abrockte, bis die Polizei kam. „Oh, das war echt witzig!“, erinnert sich der Musiker. „Denn Yungblud ist ja mehr als ein Musikprojekt: Wir sind eine Kultur, eine Bewegung. Ich liebe das Chaos.“ Wenn er sagt, dass das sick, also krank sei, meint er das als Kompliment. „Ich will die Energie zurückbringen. Die Energie, die auch für meine Generation steht.“

Yungblud 2022 auf dem Café Kranzler in Berlin
Yungblud 2022 auf dem Café Kranzler in BerlinTom Pallant

Yungblud will junge Leute dazu ermutigen, zu sagen, was sie denken und fühlen. Deshalb erzählt auch er in seinen Rocksongs von Sexualität, Gender, Drogenabhängigkeit, Herzbruch, Depression, Unsicherheit und Ängsten. „Wir müssen Gleichheit und Liebe versprühen“, sagt er. „Und Akzeptanz füreinander! Das ist eine Wahrheit, die meine Generation fühlt: Man muss der sein dürfen, der man ist.“

Auch die Klimaproteste sind für Yungblud ein „massives Thema“, wie er sagt: „Die Politiker nehmen uns nicht ernst. Aber unsere Tour ist komplett grün dieses Jahr. Weniger Benzin, weniger Flüge. Und kein Wegwerfplastik mehr backstage. Wenn die Politik nicht in die Gänge kommt, müssen vielleicht wir Künstler zeigen, was geht.“ Von den Klima-Klebern indes hält Yungblud nicht so viel, wie man meinen könnte angesichts seiner Liebe zu Chaos und Remmidemmi. „Ich glaube, am besten protestiert man mit seiner Stimme, seinen Worten, seinem Wissen“, sagt er. „Damit kann man Leute mitziehen. Klima-Kleben kann zu Unfällen und Gewalt führen – das ist nicht mein Vibe.“

Letztlich mag Yungblud Ausraster nämlich nur, solang wir einander dabei nicht wehtun. Das ist auch für seine neue Tour eine Herausforderung. Die größte, die er je gespielt hat. In Berlin kommt er ins Velodrom, eine der größten Indoor-Locations der Stadt. Früher hat Yungblud die Meute zu Moshpits in Pubs und Clubs angestachelt. Inzwischen müssen seine Leute Sicherheitszäune wie auf Festivals errichten – damit alle abgehen können und sich trotzdem möglichst niemand bedrängt fühlt. „Mann, das Velodrom ist ein Raumschiff, das wird crazy!“, sagt Yungblud. „Ich weiß noch, wie ich in Berlin meine erste Show vor 30 Leuten gespielt habe in einem kleinen Keller. Es wird immer wilder in Berlin, ihr Leute haltet mich echt auch die Nächte über wach!“

Man spürt, wie aufgeregt er vor der größten Tour seines noch jungen Lebens ist. Er schiebt sich den nächsten Kaugummi durch die großen Lippen und die großen Zähne auf die Zunge, die nur selten stillhält. „Ich hab Pfeffer im Hintern!“, sagt er und grinst breit. „Es wird der lauteste, energetischste Shit, den ich je verzapft habe!“ Dann hält Yungblud doch kurz inne. „Aber alles im Namen der Liebe!“

Konzert im Velodrom. Mittwoch, 1. März, 20 Uhr, VVK 49 Euro