Muslime machen mit: Wie Christian Stückl die Passionsspiele revolutionierte
Der Regisseur hat die berühmten Passionsspiele von Oberammergau erneuert. Am Samstag geht es wieder los. Auf der Bühne erlaubt: Muslime und Ehefrauen.

Ab Samstag stirbt Jesus wieder. Alle zehn Jahre stellt das bayerische Oberammergau fünf Monate lang sein Leben und Leiden dar, in den berühmtesten Passionsspielen der Welt. Seit 1633 fielen sie zweimal im Krieg aus und einmal wegen der Spanischen Grippe. Aber da waren nicht wie bei Corona 2020 schon eine halbe Million Tickets an Zuschauer aus aller Welt verkauft, hatten nicht 1900 Akteure der Premiere entgegengefiebert, die Hauptdarsteller mit fünf Stunden Text. Bei der Absage wurde geheult.
Regisseur Christian Stückl, 60, musste viel Trost spenden. Er ist Herz, Geist und Motor der Passionsspiele, hat sie 1987 übernommen und revolutioniert. Darum gibt es sie noch. Zuvor steckten sie fest in starren Ritualen, waren heftigen antisemitischen Vorwürfen ausgesetzt. Stückl schrieb alles um, ließ 1990 erstmals auch Protestanten und verheiratete Frauen mitspielen. Pfarrer und Bürgermeister wollten den „Gotteslästerer“ sofort wieder loswerden, aber Stückl blieb – durch einen Bürgerentscheid. Da wussten seine Gegner noch nicht, dass er eines Tages auch Muslime mitspielen lassen würde. Noch Stückls Vater wurde eine Hauptrolle verwehrt, weil seine Frau evangelisch war.
Mitspielen darf nur, wer in Oberammergau geboren ist
Der Regisseur: „Die Muslime haben Spielrecht und gehören dazu!“ Die Regeln besagen, dass mitspielen darf, wer in Oberammergau geboren ist oder zwanzig Jahre hier gelebt hat. Dass sich die Männer Haare und Bärte wachsen lassen müssen. Mitzuspielen ist hier eine unerhörte Ehre. Stückl, im Hauptberuf Intendant des Münchner Volkstheaters, steht für große Oper und Theater im deutschsprachigen Raum – so einer bringt natürlich ein sich stetig veränderndes Jesus-Bild auf die Bühne. Sein jetziger Messias legt sich zornig mit Priestern an, setzt sich für die Schwachen der Gesellschaft ein.
Alles verändert sich, selbst Stückl, der wirkt wie das Abziehbild einer bayerischen Urgewalt: Groß, stämmig, von herzlicher Geradheit, spricht er einen urigen Dialekt. Dazu rauchte er Kette bis zu einem Herzinfarkt im Februar. Letzte Woche trat er vor die Presse und sagte: „Ich habe mich erholt und mit dem Rauchen aufgehört.“ Nichts wird mehr schiefgehen.