Nachruf auf DDR-Aktivistin Bettina Dziggel: Leben für die Freundschaft
Bettina Dziggel wuchs in einer Zeit auf, als Lesbischsein nicht thematisiert wurde. Sie setzte sich auch für das Gedenken der im NS verfolgten Lesben ein.

Mehr als 200 Anwesende erlebten am 1. Mai 2022 in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück einen historisch bedeutsamen Moment: Zum ersten Mal fand während der diesjährigen Befreiungsfeiern ein offizielles Gedenken für die verfolgten und ermordeten lesbischen Frauen und Mädchen statt, die hier unvorstellbares Leid erfahren haben und deren Schicksal bis heute kaum erforscht wurde. Dieses Gedenkzeichen ist eine gesellschaftliche Anerkennung dieser Frauen und den jahrzehntelangen Kämpfen und der Arbeit vieler unterschiedlicher Personen und Gruppen zu verdanken. Dass wir heute in dieser Form der lange verschwiegenen Opfer gedenken können, ist also keineswegs selbstverständlich: Bettina Dziggel gehörte zu den Ersten, die genau dies taten.
Sie erzählte im Rahmen der Einweihungsfeier für die Gedenkkugel, wie es war, vor mehr als 30 Jahren an diesem Ort der „lesbischen Schwestern“ zu gedenken: Die Kränze der Gruppe wurden entfernt. Und die Aktivistinnen von der Stasi beobachtet. Es kam zu Verhaftungen und Verhören, die Vereinigung Lesben in der Kirche (LiK) galt als „terroristische Vereinigung“.
Dziggel gehörte zu den Gründerinnen der LiK
Es ist ein unfassbar großes Glück, dass sie diesen Moment am 1. Mai dieses Jahres noch erleben konnte. Sie gehörte 1982 zu den Gründerinnen der ersten Lesben-Gruppe Lesben in der Kirche. Die Vernetzung der Gruppe und die dadurch entstandenen Räume boten Gelegenheit, über das eigene Lesbischsein in der DDR zu sprechen, was bis dahin nicht in der Öffentlichkeit thematisiert wurde. Es gab keine Bücher, keine Filme und keine Vorbilder. So etwas wie ein Coming-out gab es nicht, das Wort „Lesbe“ war weitestgehend unbekannt – oder eher im negativen Kontext als Schimpfwort verankert.
Bettina Dziggel wurde am 25.01.1960 geboren und wuchs in einem Dorf in der ehemaligen DDR auf, in einer Zeit, in der Homosexualität verschwiegen wurde. Als Bettina 13 Jahre alt war, starb ihre Mutter, ein Verlust, der sie lebenslang prägte. Später studierte sie Agrochemie, war aber nie in diesem Bereich tätig und engagierte sich stark für umweltpolitische Themen. Nachdem sie Anfang der 80er-Jahre nach Ost-Berlin ging, engagierte sie sich kontinuierlich in der Gruppe Lesben in der Kirche – bis zum Ende der DDR.
In dem Film „... viel zu viel verschwiegen“, der die Lebensgeschichten lesbischer Frauen aus der DDR dokumentiert, ist Bettina Dziggel als Zeitzeugin zu sehen und schildert ihre Erfahrungen: „Als ich für mich diese Art von Leben entdeckte, war das für mich eine Befreiung. Zu wissen, ich kann auch anders leben, ich kann mit Frauen zusammenleben. Das war eine tolle Erkenntnis.“
Ein unkonventionelles, widerständiges Leben
Zu Beginn der 90er-Jahre schloss sie eine Ausbildung im sozialpädagogischen Bereich ab und arbeitete in der Lebenshilfe mit behinderten Menschen. Mit Kindern und Erwachsenen, die sie von der Arbeit kannte, unternahm sie in ihrer Freizeit oft Ausflüge. So reiste sie etwa mehrmals ganz allein durch Asien, durchwanderte die Alpen und den Himalaya. Ihre herzliche und sehr authentische Art war es, die sie zu den Freundinnen eine tiefe Verbindung aufbauen ließ.
Sie wird als liebevolle, humorvolle und sehr loyale Freundin beschrieben. Ihr Lachen und ihr Witz, ihre Art, mit allen Lebenslagen umzugehen, werden in Erinnerung bleiben. Bettinas Lebensfreude spigelte sich in den verschiedensten Freundschaften, die auch den Umbrüchen und Konflikten der sogenannten Wendezeit trotzten, wider. Sie galt als eine Frau, die stets andere Menschen miteinander vernetzte und ihre Erfahrungen gerne teilte und an andere weitergab. Sie lebte ein unkonventielles und widerständiges Leben.
Als Zeitzeugin trat sie im Jahr 2006 in dem vom kulturwissenschaftlichen Institut der Humboldt-Universität produzierten Film „warum wir so gefährlich waren. geschichten eines inoffiziellen gedenkens“ auf und wirkte zudem in dem Dokumentarfilm „Out In Ost-Berlin“ aus dem Jahr 2013 mit. Ihr unermüdliches Engagement zeigte sich an der Teilnahme und Organisation unzähliger Veranstaltungen, Stadtführungen und Podien. Ihr Lebenswerk hat sie auch fotografisch dokumentiert.
Im Februar 2022 musste sich Bettina einer Operation unterziehen, anschließend ging es ihr laut Aussagen ihrer Freundinnen langsam wieder besser. Freundinnen holten sie aus der Reha-Klinik ab, damit sie am Gedenken in Ravensbrück teilnehmen konnte. Im Juni verschlechterte sich ihr Zustand. Am 5. Juli verstarb Bettina im Lazarus-Hospiz im Kreise ihrer Freundinnen.
Zur Autorin: Sophie Krüger ist Bildungsreferentin zum Thema „Queeres Gedenken im Nationalsozialismus“ und langjährige Unterstützerin der Initiative Autonome feministische FrauenLesben aus Deutschland und Österreich.