Nachruf: Bildhauer Gerhard Thieme hinterlässt viele Skulpturen in Berlin
Jahrzehntelang liefen nicht nur die angestammten wie die wechselnden Belegschaften der Berliner Zeitung an dieser Plastik an der Ecke Karl-Liebknecht-/Hirtenstraße in Mitte vorbei. Die 3,40 Meter hohe Bronze stand – und steht da noch – wie ein altersloser, vertrauter Nachbar. Einer, der immer da ist, aber den man kaum mehr wahrnimmt. Den überlebensgroßen Bauarbeiter hat der Berliner Bildhauer Gerhard Thieme geformt, erst in Gips, dann wurde der Riese in Hoyerswerda gegossen. Es war ein Auftrag des Magistrats von Ost-Berlin, damals vor 50 Jahren, als die Hauptstadt der DDR sich anschickte, auch durch eine Bauwelle Metropolen-Image zu entfalten.
Nun ist Thieme, der in Berlin viele Arbeiten der, wie es hieß, Kunst-am-Bau-Initiativen realisierte, am Sonntag im hohen Alter von 90 Jahren gestorben. Sein Bauarbeiter, in derben Arbeitsstiefeln, mit Blaumann und Helm, ist keine Heldengestalt. Er steht, mit Händen gestikulierend, eher abseits auf flachem Sockel unter hohen Bäumen mit dichtem, Schatten werfendem Blätterwerk – just vor dem DDR-Neubaublock, in dem seit den Neunzigern die Stasiunterlagen-Behörde mit ihren wechselnden Namensgebern (Gauck, Birthler, Jahn) untergebracht ist.
Fast sieht man die stumm-beredte Arbeiterfigur des einstigen Akademie-Meisterschülers von Fritz Cremer nicht mehr.
Links verbarrikadiert der brachiale Bauzaun um den ehemaligen Berliner Verlag, aus dem wir 2017 ausgezogen sind, die Sicht. Rechts ist alles zugewachsen; Bäume, Büsche. Die nachgedunkelte Bronze bekommt kaum Sonnenlicht, um noch an einigen blanken Oberflächen zu schimmern. Spatzen tummeln sich nahe der Figur. Das mag daran liegen, dass ab und zu – wie früher schon – ein Spaßvogel einen Bockwurst-Brötchenrest in die linke Arbeiterhand klemmte, derweil die rechte symbolhaft in so etwas wie Richtung Zukunft zeigt. Der Bildhauer konnte freilich nicht wissen, dass diese Zukunft gegenüber der Karl-Liebknecht-Straße nach 1990 in Form der wiederereingesetzten Straßenbahn sowie eines Münchner Hofbräuhauses bestehen würde.
Gerade in Berlin hinterlässt der im sächsischen Rüsdorf geborene Thieme, der an den Kunsthochschulen Dresden und Weißensee studiert hatte, viele erzählerische Skulpturen und verspielte Brunnen. Zur Bildhauerei war er über die erzgebirgische Schnitzkunst gekommen. Er war es auch, der 1956 Bertolt Brecht in dessen Sterbezimmer die Totenmaske abnahm. Für das gleiche, nur von Wenigen beherrschte Ritual, holte man ihn auch an die Bahren von Ulbricht, Eisler und der Palucca.