John Baldessari: Der Meister der Entschleunigung

Der US-amerikanische Maler John Baldessari verstand sich auf die Kunst der Lücke. Jetzt ist er im Alter von 88 Jahren gestorben.

Berlin-Er stand vor seinen Arbeiten wie einst Sokrates – wegen der Ähnlichkeit mit historischen Porträts – vor seinen Schülern. Damals, im Jahr 2000, fremdelte das Dresdner Kunstpublikum noch ein wenig mit dieser Art von Kunst. 

Er wollte weg von der tradionellen Malerei: John Baldessari (1931 - 2020)
Er wollte weg von der tradionellen Malerei: John Baldessari (1931 - 2020)

Der gebürtige Kalifornier John Baldessari, im internationalen Kunstranking der Maler-, Foto- und Videoarbeiten regelmäßig ganz oben auf der Liste, gab ein Gastspiel im Albertinum, das sich gerade der westlichen Moderne öffnete. Tatsächlich stellte hier ein Mann aus, der sich schon 1970 radikal verabschiedet hatte von einer traditionellen Malerei, die gerade in Dresden verwurzelt ist.

Baldessari warf damals seine alten Bilder ins Feuer. Das war sein Widerspruch gegen den übermächtigen abstrakten Expressionismus. Was da mit dem physischen Automatismus des „Action painting“ verhandelt wurde, hatte für Baldessari nichts mit dem 70er-Jahre-Alltag zu tun, den er erlebte.

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John Baldessari: Von der Malerei zur Fotografie

Am Tag nach der Bilderverbrennung konvertierte der Maler zur Fotografie. Aber auch hier arbeitete er gegen die Tradition: Jener unwiederholbare Moment, den Fotoamateure oft verbissen festzuhalten versuchen, war für ihn genauso uninteressant wie der ästhetische oder dokumentarische Anspruch der Profis: Er schoss aus dem fahrenden Auto heraus alltägliche Aufnahmen, fotografierte wie beiläufig Telefonmasten, Tankstellen, Autosalons, Bars, öde Vorstadt- Einfamilienhäuser.

Die Fotos zog er auf Leinwände auf, die er mit Emulsionen lichtempfindlich gemacht hatte und ließ einen Schildermaler Texte über die Motive auftragen. Später kombinierte er triviale Motive aus Illustrierten mit Filmszenen, ergänzte die Aufnahmen mit Farbpunkten auf Gesichtern und Körperteilen: Ironische, kulturkritische Collagen waren das Ergebnis. Und er ließ Lücken in den Bildern, um zu entschleunigen, er fragte: Wie verändert sich ein Bild, wenn Teile entfernt oder überdeckt werden? Er stellte die Funktionsweise künstlerischer Medien in Frage und kommentierte die Gesellschaft dabei ironisch. Damit prägte er die Konzeptkunst und inspirierte viele Künstler. Nun ist John Baldessari 88-jährig gestorben, hoch dekoriert mit dem Goldenen Löwen auf der Biennale Venedig 2009 sowie dem Goslarer Kaiserring im Jahr 2012.