Neuer Roman "Finderlohn": Ein Stephen King ohne Spuk

Es läuft gut neuerdings im Hause Stephen King. Anfang des Jahres erst hatte der Auflagenmillionär aus dem US-Bundesstaat Maine mit "Revival" die Fortsetzung seines Welterfolges "Shining" geliefert – nach knapp 40 Jahren. Und nun folgt schon "Finderlohn", laut King auch eine Art Fortsetzung, diesmal allerdings eine des vor nicht einmal zwölf Monate erschienenen Thrillers "Mr. Mercedes".

Wobei das nicht stimmt, wenn man es genau nimmt. "Finderlohn" verhält sich zum ersten Teil der von King "Trilogie" genannten Bücher aus einer namenlosen Stadt in Ohio am Eriesee wie die meisten King-Verfilmungen zu seinen Büchern: Das Personal ist teilweise identisch, die Handlung ähnlich, das Ergebnis aber ein ganz anderes.

Originaltitel ist viel doppeldeutiger

"Finderlohn", im Original viel doppeldeutiger "Finders Keepers" im Sinne von "wer es findet, dem gehört's" genannt, erzählt die Geschichte der beiden glühenden Literaturfans Morris Bellamy und Pete Saubers. Deren Leben überschneiden sich nicht nur, weil beide begeisterte Anhänger des verstummten Kultautors John Rothstein sind, sondern auch, weil beide in derselben Stadt, im selben Haus, ja, schließlich sogar im selben Zimmer leben, wenn auch zu unterschiedlichen Zeiten. Denn als Saubers einzieht, sitzt Bellamy schon im Gefängnis.

Zurückgelassen hat er jedoch einen Schatz in Form von mehr als hundert kleinen Notizbüchern Rothsteins, die dieser vor seinem Tod mit Gedichten, Kurzgeschichten und zwei vollständigen Romanen gefüllt hat.

An dem Ort, an dem letztes Jahr in „Mr. Mercedes“ ein Wahnsinniger mit seinem Auto in eine vor dem Arbeitsamt wartende Menge gefahren war, stellt nun ein nicht weniger Verrückter seinem Schriftsteller-Idol nach. Und dann dem Mann, von dem er meint, er habe ihm das gestohlen, was ihn in mehr als 30 Jahren Gefängnis am Leben erhalten hat.

Ein schlau ausgedachter Roman, der ohne übersinnlichen Spuk, aber auch ohne viele Rätsel auskommt. Der Showdown ist absehbar, die Fährte dorthin leicht zu verfolgen: Mit dem Koffer voller Notizbücher hat Pete Saubers auch das von Bellamy versteckte Geld Rothsteins gefunden und damit seine Eltern unterstützt. Sein Vater kann nämlich nicht mehr arbeiten gehen, seit Mr. Mercedes ihn vor der Jobbörse überfahren hat. Eins fließt ins andere, jeder Zufall hat seine Konsequenzen.

Stephen King aber wäre nicht der Routinier der rasend schnellen Spannungsliteratur, schöbe er seinem in nur drei Handlungssträngen erzählten 68. Roman nicht noch eine zweite Bedeutungsebene unter. In dieser geht es nun nicht um Schießen, Stechen und Morden, sondern wie damals in Kings Meisterwerk "Misery" um das, was Lektüre aus Menschen machen kann: Jemand denkt sich etwas aus und schreibt es auf. Und ein anderer liest es nicht nur, nein, es wird greifbare Wirklichkeit für ihn.

Ein Zauber, an dem Stephen King auch nach 400 Millionen verkauften Büchern, Übersetzungen in 54 Sprachen und 35 ersten Plätzen auf der Bestsellerliste der New York Times noch zu knabbern hat. Mehrfach wurde der Autor von Teenie-Horror-Märchen wie "Carrie" und weltumspannenden Düster-Utopien wie "The Last Stand" selbst mit den Folgen eines zum Fanatismus gewandelten Fankults konfrontiert, mehrfach hat er sich – etwa in "Stark" und "Love" – mit den Folgen einer solchen Vereinnahmung auseinandergesetzt.

Hier aber greift das Werk des Autors ganz ohne Hokuspokus noch aus dem Grab heraus ins Lebensrad anderer Menschen. Erst rettet Rothsteins gestohlenes Geld Eheglück und Familienfrieden der Saubers. Dann droht dem Jungen, der so sauber eingefädelt hat, dass alle glücklich sein können, die Rache des Mannes, der nie verzeiht, wenn jemand ihm fortnimmt, was er für sein Eigentum hält.

Wiedersehen mit bekannten Figuren

Weil Stephen King zunehmend bemüht ist, in seinem Werk alle losen Fäden miteinander zu verknoten, tauchen hier mit dem Ex-Polizisten Bill Hodges, seiner Assistentin Holly Gibney und ihrem Freund Jeroma Robinson dieselben Leute als Retter auf, die schon in "Mr. Mercedes" berufen waren, die Welt zu bewahren. Ein müder Opa, eine kontaktscheue Frau und ein Schwarzer aus dem Ghetto als Helden, das erinnert mehr als nur von fern an Kings "Der dunkle Turm", in dem noch jedes Finale ein Vorspiel für kommende Fürchterlichkeiten war.

So auch hier: Schon nächstes Jahr wird mit "End of Watch" der dritte Teil der Trilogie veröffentlicht. Worum es darin geht, schwant „Finderlohn“-Lesern spätestens, als der hirntot im Krankenhaus dahinvegetierende Mr. Mercedes auf den letzten Zeilen deutliche Vitalfunktionen zeigt.

"Ich schreibe so lange, wie der Leser überzeugt ist, in den Händen eines erstklassigen Wahnsinnigen zu sein", hat Stephen King einmal angekündigt. Die Gemeinde scheint das inzwischen zu glauben, denn hier bedankt er sich nach dem Ende dafür, "dass ihr nach all den Jahren noch da seid". Das gibt Motivation: "Wenn ihr Freude habt, habe ich sie auch."