Neues Album von Aphex Twin: Der Urahn der Technoklötzchen ist wieder da
Berlin - Und wieder drauf reingefallen. „Papa?“ – „Ja, mein Kind?“ – „Kannst Du mir auf Deinem iPad dieses Spiel runterladen? Das heißt Minecraft.“ – „Aha. Worum geht es?“ – „Man baut Häuser aus Klötzchen und gestaltet Landschaften und Welten. Das ist total kreativ!“ – „Aha. Na gut. Wenn das so ist.“ Später sitzt das Kind in seinem Zimmer und spielt das vom gutgläubigen Vater erworbene kreative Spiel. Schön! Oder nicht?
Denn wenn es darum geht, Häuser und Welten zu bauen, warum dringen dann diese Urks-, Ächz- und Kreischgeräusche aus dem Computer? Und warum ist der Blick des Kindes plötzlich so fiebrig? „Kind!“ – „Ja, mein Papa?“ – „Das sind doch Horden von Skeletten und Zombies, die ich da auf dem Bildschirm sehe.“ – „Ja, ach so, hatte ich das vergessen zu sagen? Wenn man die Welt gebaut hat, muss man sie natürlich gegen Untote verteidigen, die nächtens aus Bunkern und Erdspalten kriechen.“
Keine Frage: Im Überlisten argloser Erziehungsberechtigter haben die Erschaffer des „Minecraft“-Spiels sich zuletzt zu rekordverdächtiger Virtuosität aufgeschwungen. Das kann man als Ausdruck einer ausgeprägten Heimtücke werten; wenn man das Spiel aber selbst einmal spielt, lernt man auch als Erwachsener bald die Verbindung aus pädagogisch wertvollem Klötzchengebastel und hirnzerweichender Zombieabschlachterei zu genießen. Markus „Notch“ Persson heißt der schwedische Programmierer, der „Minecraft“ vor drei Jahren erfunden hat; am Anfang dieser Woche wurde es mit dem dazugehörigen Mojang Studio für 2,5 Milliarden Dollar an Microsoft verkauft.
Einlullend, doch absolut untanzbar
2,5 Milliarden: Dafür muss eine alte Frau lange stricken. Was macht man aber als junger Programmierer von Klötzchen-und-Zombie-Spielen mit so viel Geld? Markus „Notch“ Persson kauft sich zum Beispiel sehr gerne sehr teure Schallplatten. So erwarb er in diesem Frühjahr für knapp 50.000 Dollar eine Platte des britischen Produzenten Aphex Twin; sie heißt „Caustic Window“ und war deswegen so teuer, weil von ihr nur zehn Exemplare existieren und nur ein einziges jemals in den freien Verkauf gelangte.
Die Musik, die man darauf hört, hatte nach Angaben des Künstlers schon seit ein paar Jahren „in irgendeinem Regal“ herumgelegen; dass seine weltweite Verehrergemeinde so angespannt darauf wartete, lag auch daran, dass die letzte reguläre Platte von Aphex Twin aus dem Jahr 2001 stammte.
Aphex Twin heißt eigentlich Richard D. James, er wurde 1971 in Limerick geboren und wohnte nach eigenen Angaben nach einer sehr schweren Kindheit lange Zeit in einem Banktresor. Früher fuhr er in seiner Freizeit am liebsten mit Panzern herum; heute hingegen, behauptet er, führt er mit seiner Familie ein zurückgezogenes Dasein in einem kleinen schottischen Dörfchen. Seine ersten Platten erschienen Anfang der Neunzigerjahre, und vielleicht könnte man sagen: Wie heute die „Mine-craft“-Designer in ihren Spielen, so verband er schon damals in seiner Musik Basteln und Schlachten in gleichermaßen kreativer wie heimtückischer Weise.
Mit rasenden, vielfach in sich gebrochenen Rhythmen erschuf er Tanzmusikstücke, die jedoch Versuche, zu ihnen zu tanzen, weithin unmöglich machten; er brachte aber auch Ambient-Kompositionen heraus, die beim ersten Hören rundum einlullend wirkten, die aber mit ihren schwankenden Metren, zerbeulten Beats und knapp über der Wahrnehmungsgrenze dräuenden unguten Sounds im Hörer vor allem tiefe Verstörung erzeugten.
Unbehaglicher Gesamtklang
So ist es auch auf seinem am Freitag erschienenen, nun wirklich neuen Album „Syro“, der ersten regulären Aphex-Twin-Platte seit dreizehn Jahren. Sie enthält zwölf Lieder, die zum Beispiel „minipops 67 [120.2] (source field mix)“ oder „s950tx16wasr10 [163.97] (earth portal mix)“ heißen und in denen beim ersten Hören recht eingängig wirkende Rhythmen und Melodien unablässig aus der Form zu geraten scheinen; sie verschwimmen und verschieben sich gegeneinander, werden unscharf und erhalten dann wieder eine unangenehme Überschärfe. Hektisches Herumgebolze wird in kuschelweiche Basspolster gebettet, Blubber- und Stolpergeräusche verbinden sich in physikalisch unmöglicher Art; zwischendurch hört man gequälte Zombies urksen, ächzen und kreischen.
All das erzeugt, wie schon früher bei Aphex Twin, einen äußerst unbehaglichen Gesamtklang. Doch hat man dabei nie das Gefühl, dass ihm die Erzeugung von Unbehagen wirklich ein Anliegen ist. Eigentlich ist es ihm egal, wie seine Hörer sich fühlen, ob sie mit fiebrigem Blick vor dem Computer sitzen oder ob sie die Konstruiertheit seiner musikalischen Gruseleffekte durchschauen und sich dergestalt von ihnen zu distanzieren vermögen. Der Irrsinn, den diese Musik verströmt, ist vollständig entsubjektiviert.
Sein Sohn sei jetzt sechs Jahre alt, sagte Richard D. James kürzlich in einem Interview, und er programmiere unaufhörlich Musik. Das Kind sei völlig mit seinem Laptop verschmolzen, wie ein Cyborg, und darüber freue sich sein Vater sehr: „Er ist so kreativ!“ So ist Aphex Twin also nicht nur der Urahn der heutigen Technoklötzchenbastler und Zombiespielprogrammierer, sondern auch die ideale Vaterfigur für die kommende Generation von Mensch-Maschine-Hybriden.