Neues Album von Leonard Cohen: First we take Manhattan, then we take Marzahn

Berlin - Es liegt nicht daran, dass ich alt bin“, singt er gleich im ersten Lied des neuen, pünktlich vor seinem 80. Geburtstag am 21. September veröffentlichten Albums. Immer schon, raunt der ewige Verführer Leonard Cohen weiter in seinem unverwechselbar rauchigen Timbre, „mochte ich es langsam“, immer schon war er ein Spätzünder und wollte, dass etwas anhält, wobei er schon immer wusste, dass nichts für immer hält, vor allem nicht die romantische Liebespaarliebe.

Und wie jeder gute Buddhist, der er irgendwie schon war, bevor er sich in den 90ern jahrelang in ein Zen-Kloster bei Los Angeles zurückzog, sich in den Schneidersitz versenkte und mit dem Bekochen seines über 100-jährigen Meisters begnügte, schaukelte und wiegte er seine Depressionen zu einschmeichelnden Engelschören im sanften Rhythmus eines „letzen Walzers“ oder der matten Melodie von „Fast einem Blues“. Und macht das bis heute.

Denn wo nichts hält, und nichts von Dauer ist außer der von ihm immer wieder erinnerten Grausamkeit, den Kriegen und dem Horror der Welt, da bleiben seine Lieder über die „Popular Problems“ der Liebessehnsucht, der Einsamkeit, der Enttäuschungen und des unaufhörlichen Verlierens. Aber schön langsam: „Lass mich Luft holen, ich dachte wir hätten die ganze Nacht“.

Blumen für Hitler

Eigentlich wollte er „nur“ Dichter werden. 1960 reist Cohen auf die griechische Insel Hydra, wo sich schone einige „Aussteiger“ angesiedelt haben, kauft sich für 1 500 Dollar, die ihm seine Großmutter vererbt hat, ein altes Haus, lebt zusammen mit der Norwegerin Marianne, die wir Cohen-Hörige alle aus dem für tausend Abschiede zitierten Lied „So long ...“ kennen. Eigentlich nur um etwas Geld zu verdienen, was mit der Schriftstellerei trotz einiger Publikationen nicht so leicht geht, beginnt Cohen einige Gedichte zur Klampfe vorzutragen.

1967, da ist er schon im für das Popmusikbusiness geradezu greisenhaften Alter von 33, erscheint seine erste Platte. Das sepiafarbene Coverfoto aus einem Automaten in der New Yorker U-Bahn ist betont unglamourös und unjugendlich. Der kanadische Lyriker und Enkel eines Rabbis („Blumen für Hitler“, 1964), der nie lange Haare und immer Anzug trägt („I was born in a suit“) macht vor, dass sich Weltschmerz und antibürgerliche Rebellion durchaus mit Eleganz vereinbaren lässt. Während Gammelfilz, Hippiezauseln und unisexer Lotterlook in Mode kamen, bleibt der„Lady’s Man“ ein Vorbild für die „Schönen Verlierer“ (1965), wie sein auf Hydra geschriebener Roman programmatisch heißt. Noch den berühmten, an der Schulter zerrissenen blauen Regenmantel („Famous Blue Raincoat“) trägt der einsame Schakal mit Stil, die Gosse spiegelt den Nachthimmel wieder und die Schuhe sind blank poliert – im Booklet zum neuen Album widmet sich ein gezeichneter Cohen der Meditation des Schuheputzens.

Zeitlose Hymnen

Sein Debütalbum „Songs of Leonard Cohen“ enthält, neben der wehmütigen Liebeserklärung an die verlassene Marianne bereits die Hymnen an „Suzanne“, eine 17-jährige Tänzerin, die er 1963 in Montreal kennengelernt hatte („And you want to travel with her/ You want to travel blind“), und die „Sisters of Mercy“. Man glaubt es kaum, diese Lieder sind jetzt über 47 Jahre alt und so unverbraucht wie eh und je. Sie haben nichts eingebüßt an abgrundtiefer Melancholie und herzzerreißender Desillusionierung, ihre gebrochenen Helden stehen genau so immer noch auf den Bahnsteigen und an allen Straßenecken unserer kaputten Welt herum.

Cohens Songs sind nahezu zeitlos. Halleluja. Wie Cohen selbst, von dem der Münsteraner Schriftsteller Burkhard Spinnen gerade im Radio sagte, er habe von Anfang an das Gefühl gehabt, Cohen sei immer schon dagewesen. Und so sind auch die neun Lieder des neuesten Albums mit dem Understatement-Titel „Popular Problems“ eigentlich genauso schön wie die alten.

Nur noch etwas glatter. Musik zum Spülen, wie Cohen mal sagte. Eine Fortsetzung der „Going Home“ Abgeklärtheit der „Old Ideas“, Cohens vorheriges und kommerziell erfolgreichstes Album von 2012 vom selben Produzenten. Einschmeichelnd, um nicht zu sagen seifig arrangiert, flüstert und raunt und betet Cohen seine morbid angehauchten Lyrics über einem einlullenden Synthiepopteppich mit himmlischem Hintergrundchor und Geigenklängen ohne Kanten und Harmoniebrüche.

Wer alt ist, braucht wohl keine Stolpersteine mehr. Auf dem Plattencover ist Cohen mit Spazierstock abgebildet. Zeit für barrierefreien Melancholiegenuss!