Die USA sind in Unruhe – und ein Busunfall in New York wirkt wie ein Symbol

An der Washington-Brücke zwischen Manhattan und Bronx hängt ein Bus in der Luft. Heidegger sprach einst vom „Hinausgehaltensein in das Nichts“.

Der abgestürzte Bus an der Washington-Brücke zwischen 181. Straße und Bronx.
Der abgestürzte Bus an der Washington-Brücke zwischen 181. Straße und Bronx.AP/Craig Ruttle

In dem amerikanischen Spielfilm „Speed“ von Jan de Bont aus dem Jahre 1994 sieht sich die Mitreisende Annie (Sandra Bullock) gezwungen, die Steuerung eines Linienbusses zu übernehmen. Die Lage ist ernst, der Bus ist zum Gegenstand perfider Pläne eines Erpressers geworden. Annie muss Tempo machen. Der Erpresser droht, das Verkehrsmittel bei Stillstand in die Luft zu sprengen. Sandra Bullock gelingt es natürlich mühelos, dem nun zum bewegten Kammerspiel gewordenen Film eine Richtung zu geben. Immer geradeaus, um dem Abgrund zu entgehen.

Ein aktuelles Foto aus New York ruft die Erinnerung an „Speed“ wach, in dem die Alltäglichkeit des öffentlichen Nahverkehrs plötzlich umschlug in eine Szenerie existenzieller Not. Ähnliches trug sich in New York in der Nacht zum Freitag zu. An der Washington-Brücke, die den New Yorker Stadtteil Manhattan mit der Bronx verbindet, hat sich ein Unfall ereignet, infolgedessen ein Bus von der Fahrspur abgekommen war und anschließend gefährlich über einen Abgrund hinausragte. Die New York Post berichtet, der Unfall habe sich um 23.10 Uhr Ortszeit ereignet, also um 5.10 Uhr mitteleuropäischer Zeit. Laut Polizeiangaben war kein anderes Fahrzeug darin verwickelt. Die New Yorker Feuerwehr sprach davon, dass acht Menschen verletzt behandelt werden mussten.

Der glimpfliche Ausgang des Unfalls macht es leicht, das Bild von dem in der Luft schwankenden Ziehharmonikabus als Symbol der amerikanischen Zustände zu deuten – die größte Demokratie der Welt als Rohr im Wind. Wer die Existenzphilosophie Martin Heideggers bemühen möchte, könnte beim Anblick des Busses an die Formulierung vom „Hinausgehaltensein in das Nichts“ denken, das Abgründige einer Gesellschaft ist selten ordentlich ausgeschildert, sondern tritt unverhofft und überfallartig in Erscheinung.

Unterdessen sind die nach den Kapitol-Attacken unter Schock stehenden Staatstreuen der amerikanischen Gesellschaft um symbolpolitische Rehabilitation bemüht. Zur Amtseinführung des gewählten Präsidenten Joe Biden am kommenden Mittwoch soll Lady Gaga die Nationalhymne singen, der Schauspieler Tom Hanks führt durchs Programm und Jennifer Lopez hat ebenfalls einen Auftritt in Aussicht gestellt. Nachdem die amerikanische Kulturelite in den zurückliegenden Jahren hinreichend damit zu tun hatte, Einladungen von Donald Trump abzulehnen und diesem Abspielgenehmigungen zu verweigern, geht es nun unter dem Motto „Amerika vereint“ wieder ums Dabeisein – wäre da als Mahnung nicht dieser gefährlich abhängende Bus.