Nick Cave in der Waldbühne: „Berlin ist fucked up“

Der Australier hat einst in Kreuzberg gelebt und kommt jetzt regelmäßig in die Waldbühne. Beim Konzert am Mittwochabend zeigte er oft auf sein Herz und kommentiert die Stadt. Mit Liebe.

Nick Cave in Berlin in der Waldbühne
Nick Cave in Berlin in der Waldbühneimago/Roland Owsnitzki

Die erste Zugabe bringt diesen Moment, auf den alle gewartet haben. Nick Cave zeigt auf die oberen Ränge der Waldbühne, als ob er diesen Song auch gerade für sie singe. Dann schlägt er die drei Akkorde an, bei denen klar ist, alle können den Refrain mitsingen: „Into my arms, my lord, into my arms.“ Zwei Frauen schunkelten Arm in Arm, ein Mann kuschelte sich an seine Nachbarin und die Sonne ist gerade erst hinter den Bäumen verschwunden und, na ja, Orange eben, überall.

Nick Cave kommt regelmäßig nach Berlin. Er hat hier in den 1980er-Jahren längere Zeit in Kreuzberg gewohnt, in seinem Loft in der Dresdener Straße. Das war die Zeit, als David Bowie und Lou Reed auch immer wieder in der Stadt waren. Cave kommt regelmäßig, war erst kurz vor der Pandemie im Jahr 2018 in der Waldbühne und auch heute wieder in der ausverkauften 22.000 Menschen fassenden Freiluftbühne. Am Ende wird er ankündigen, wieder demnächst hier aufzutreten.

Er beginnt Punkt 19 Uhr mit dem Lied „Get ready for Love“

Er beginnt kurz nach 19 Uhr mit dem Lied „Get ready for Love“ und „There she goes my beautiful World“, zwei schnelle Rockstücke, die einige noch nicht mitbekommen, weil ihre Tasche größer als ein A4-Blatt ist und sie diese abgeben müssen. Da wissen sie noch nicht, dass Nick Cave nur deshalb so früh beginnen wird, weil er die drei Stunden möglichst ausschöpfen will. Wegen einer Lärmregelung, über die bei fast jedem Waldbühnen-Konzert in der Bierschlange diskutiert wird, dürfen Konzerte dort nicht länger als bis 22 Uhr dauern.

Die Türen öffnen sich 16.30 Uhr, und weil „Freie Platzwahl“ auf den Karten (83,50 Euro) steht, können die Fans bis an die Bühne heran. Dort kümmert sich Nick Cave jedenfalls sehr eindringlich um seine Zuhörer. Bei „From her to Eternity“ legt er einem Fan das Mikrofon in die ausgestreckte Hand wie in einen Ständer und singt freihändig dort hinein. Kurz darauf flirtet er minutenlang mit einer Frau, die offenbar auf den Schultern eines Mannes sitzt, schlägt sich aufs Herz und ruft immer wieder „Boom Boom Boom“. Direkt danach sang er etwas abrupt: „You better run“.

Dann wird Nick Cave ganz ernst

Dann wird Nick Cave ganz ernst. Er sagt, sei gern hier in der Stadt. „Berlin hat mir viel gegeben.“ Er sagt, die Stadt sehe aber auch schlecht aus. Auf Englisch benutzt er die Worte „fucked up“ und gleich dahinter noch unübersetzbarer: „Berlin is beautifully fucked up.“ Trotzdem widme er das folgende Lied Berlin: „Carnage“. Es ist das Titellied des neuen Albums vom letzten Jahr. Im Refrain heißt es: „Es ist nur Liebe/ mit ein klein bisschen Regen/ und ich hoffe, ich seh dich wieder.“ Auf Englisch reimt es sich.

Im Laufe des Abends wird er einen Song singen, den er auf der Dresdner Straße geschrieben und in den Hansa-Studios aufgenommen hat („The Mercy Seat“), ein großes Liebeslied, das auch ein Seemannslied sein könnte („The Ship Song“), und schließlich bringt er die ganze Waldbühne dazu, die Arme zu heben und mitzusingen bei der Zeile: „I’m beside you“ („Ich bin neben dir“). Bei „Ghosteen Speaks“ könnte der Abend zu Ende sein.

Doch er dreht noch einmal auf, kurz nach halb zehn, als die Sonne schon längst weg ist, beginnt die zweite Zugabe: Er singt das Duett „Henry Lee“ mit einer seiner Background-Sängerinnen und zum Abschluss dann „Mermaids“: „Alle die kommen/ und alle die gehen/ unten am Wasser“. Es geht vordergründig um einen alten Mann, der jungen Frauen hinterherstarrt. Aber im Grunde, das sagte Nick Cave selbst einmal, geht es um Ideen, die einen belügen. Vielleicht ist es auch einfach ein Song, den man noch auf dem gesamten Heimweg nicht aus dem Kopf gehen lassen möchte.