Ohren öffnend: Igor Levit schließt seinen Beethoven-Zyklus ab

Der Pianist schlägt ein atemberaubendes Tempo an, feiert manuelle Triumphe und beweist dennoch feines Gespür für die Beethoven‘schen Klangräume

Igor Levit
Igor LevitFuture Image/C. Hardt

Berlin-Beethovens letzte sechs Klaviersonaten spielte Igor Levit im Rahmen des Musikfests chronologisch am Sonnabend und Sonntag in der Philharmonie: Es ist ein Kreis von fünf eher kompakten Werken mit der allerdings monströsen Hammerklavier-Sonate in ihrer Mitte; an Anfang und Ende stehen zweisätzige Stücke, bis auf die Hammerklavier-Sonate verlegen die anderen den Schwerpunkt aufs Finale.

Levit formt das stets sehr prägnant: Die ersten beiden Sätze der Sonate op. 109 bleiben flüchtig oder zerrissen vorbeiziehende Impressionen vor dem sehr langsam genommenen Variationsfinale, in op. 110 profiliert Levit das fast Kindliche der ersten Sätze – sei es verspielt wie im ersten oder auf schlichte Weise zornig wie im Scherzo-Satz – gegen den großen Ton des Rezitativ-Arie-Fugen-Finales: Großartig tritt dort eine instrumentale Stimme hervor, als hätte Beethoven wie in der Neunten Symphonie den Gesang hinzuziehen wollen. Lediglich in der A-Dur-Sonate op. 101 möchte man hinter den etwas flachen Klang des ersten Satzes ein Fragezeichen setzen: Er wird vom folgenden, schier symphonischen Marsch zu rasch vom Platz gefegt, und so wirkt seine kurze Reminiszenz vor dem Finale unmotiviert und bedeutungslos.

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In der Hammerklavier-Sonate schlägt Levit in den raschen Sätzen ein atemberaubendes Tempo an. Vielleicht wusste man vorher nicht, dass sich die bizarren Kontrapunkte der abschließenden Fuge in dieser Geschwindigkeit spielen lassen, und so klingt es angesichts des manuellen Triumphs vermutlich beckmesserisch, wirft man Levits Interpretation vor, sie löse die Widerständigkeit dieser Polyphonie in schieres Gewirbel auf. Dennoch repräsentiert der hohe Dissonanzgrad des Finales einen Teil jener Arbeit, die nötig ist, um die von Levit im ersten Satz schroff dargestellte harmonische Problemstellung des Werks – der Gegensatz der Grundtonart B-Dur und ihrer chromatischen Variante h-Moll – aufzulösen. Diese Dissonanzen jedoch wirken nicht mehr, wenn das Tempo sie zu kaum wahrnehmbaren Durchgängen disqualifiziert.

Stärker ohrenöffnend war am Ende wohl doch, was Levit mit den zweisätzigen Sonaten unternahm. Die letzte Sonate op. 111 lässt noch einmal Beethovens c-Moll-Pathos anklingen, aber es scheint seltsam gebrochen, richtungslos, so dass sich der Satz in die Arietta-Variationen öffnet. Levits Gespür für die Bedeutung der extrem aufgespannten Klangräume dieses Stücks zeigt, wie Beethoven noch in seiner letzten Sonate Neuland betrat. In der e-Moll-Sonate dagegen verhalten sich die Sätze nicht kontrastierend, sondern wie Ankündigung und Entfaltung zueinander: Das Rondo in E-Dur lässt drucklos laufen, was in den vielen Ansätzen und Fragmenten des ersten Satzes sich andeutete: den instrumentalen Gesang. Levit spielt das unendlich rührend und zart.