Warum viele Menschen rechts und links nicht auseinanderhalten können

Unsere Autorin leidet unter der Rechts-links-Schwäche und flog deshalb aus der Fahrschule. Die Wissenschaft hat verschiedene Theorien für die Ursachen.

Orientierungslos in der Großstadt
Orientierungslos in der GroßstadtAngel Santana Garcia/imago

Das Gedicht „lichtung“ von Ernst Jandl gehört zu den am meisten zitierten Texten des österreichischen Dichters: „manche meinen/ lechts und rinks/ kann man nicht velwechsern/ werch ein illtum“.

Manche schreiben Jandls Richtungsangaben eine politische Bedeutung zu. Ich habe dieses Gedicht oft zitiert, wenn ich mal wieder mit meiner Rechts-links-Schwäche konfrontiert war. Auf Jandl verzichtet habe ich jedoch, als mein Fahrlehrer mich aus der Fahrschule warf, weil er mich besonders renitent fand. Er hatte mir befohlen, nach links abzubiegen, ich war nach rechts gefahren. Er fühlte sich auf den Arm genommen. Es folgte ein Wutausbruch, der sich durch das Rezitieren des Gedichts wahrscheinlich noch gesteigert hätte.

Dabei gehöre ich doch nur zu den Menschen, die rechts und links nicht unterscheiden können, es ist etwa einer von vier, von sechs oder von zehn. Die Angaben schwanken. Während jeder sofort weiß, was vorne und hinten oder oben und unten ist, muss ich mir Strategien zurechtlegen. Ich orientiere mich an meinen Händen, der Mittelfinger meiner linken Hand sieht zum Glück etwas anders aus als der der rechten. Dabei muss ich die Hände nicht mal vor mir sehen, es genügt, daran zu denken. Nur ein bisschen Zeit braucht es halt, und stehe ich unter Druck wie damals als Fahrschülerin, klappt es manchmal gar nicht.

Ist die Genetik schuld oder liegen die Gründe in der Kindheit?

Die Wissenschaft weiß immer noch nicht ganz genau, warum einige Menschen sofort wissen, wo links und rechts ist und andere nicht. Mehrere Studien hat es in der jüngsten Zeit dazu gegeben, darunter eine der Universität Oxford, die die Ursachen in der Genetik verortet. Möglicherweise jedenfalls. Andere Wissenschaftler sehen die Ursachen in der Kindheit. Menschen mit der Schwäche sollen bestimmte Entwicklungsschritte nicht gemacht haben.

Die Worte rechts und links gibt es übrigens in den meisten Sprachen nicht. Das Konzept ist für Menschen, die sich in Naturräumen bewegen, unnötig. Hier bieten die Himmelsrichtungen die entscheidenden Signale für die Orientierung. Nur braucht man natürlich auch Anhaltspunkte, um zu wissen, wo Norden, Süden, Osten, Westen sind. In der großen Stadt fehlen sie oft. Hier würde man verständnislose Blicke ernten, würde man jemandem den Weg weisen mit Worten wie „Wenden Sie sich nach Westen und nach etwa 300 Schritten biegen Sie nach Süden ab“. Selbst ohne Häuserschluchten haben wir Stadtmenschen längst die Fähigkeit verloren, die Zeichen der Natur zu lesen.