Oskar Kokoschka: Ein sehr deutsches Bild
Wenn die Stiftung Preußischer Kulturbesitz zu einer Blitz-Pressekonferenz nachmittags um fünf Uhr in die Villa von der Heydt ruft, dann fürchtet Präsident Hermann Parzinger einen kulturpolitischen Großbrand. Schließlich ist die Stiftung eher für monarchische Behäbigkeit berüchtigt. Aber wenn Medien über einen Fall möglicher Raubkunst berichten, der sich im wahrsten Sinn des Wortes unmittelbar vor der Nase Parzingers abspielt, ist Eile geboten.
In Parzingers Arbeitszimmer im noblen Stiftungssitz hing bis vor zwei Wochen das berühmte Gemälde „Pariser Platz“ von Oskar Kokoschka. Womöglich handelt es sich bei dem Werk um Raubkunst. 1935 hatte es die Berliner Nationalgalerie aus Beständen erworben, die die Münchener Kunstsammlerin und Galeristin Anna Caspari in der Dresdner Bank als Pfand hinterlegt hatte.
Die in Casparis Galerie verbliebenen Kunstwerke wurden 1939 von der Gestapo „sichergestellt“. Ein Porträt Lovis Corinths kam in das Bayerische Nationalmuseum, andere Bestände in die Bayerische Staatsbibliothek und die Grafische Sammlung. Anna Caspari gelang es gerade noch, ihre Söhne nach London in Sicherheit zu bringen, bevor sie selbst 1941 nach Litauen deportiert und am 25. November in Kaunas ermordet wurde. Ihre Mutter Olga Naphtali verschleppten die Deutschen nach Theresienstadt. All dies ist spätestens seit 2008 bekannt, als Forschungen der Bayerischen Staatsbibliothek publiziert wurden.
Schützten NS-Kunstpolitiker Kokoschka?
Auch sonst kommt in diesem Bild so ziemlich alles zusammen, was an deutscher Geschichte des 20. Jahrhunderts denkbar ist. 1926 schuf es der Wiener Maler im Auftrag des Berliner Avantgardekunsthändlers Paul Cassirer, ein Hauptwerk der Klassischen Moderne: Alle Dynamik der Metropole, ihr Anspruch, von Preußens zu Deutschlands Hauptstadt mit Reichstag und Siegessäule aufzuwachsen. Sogar das Atelier von Max Liebermann, der so scharf gegen Expressionisten wie Kokoschka wettern konnte, sind darauf zu sehen. Der Standpunkt des Malers war das Dach der Akademie der Künste.
Kokoschka war von der republikanischen Regierung Preußens 1930 als Mitglied der Akademie durchgesetzt worden. Eine erste „Säuberungswelle“ der Nazis im Jahr 1933, die Juden und politisch Missliebige aus dem Gremium entfernte, überstand der Österreicher. Erstaunlich, dass die Nationalgalerie den „Pariser Platz“ überhaupt erwerben konnte, obwohl Kokoschka von Hitler als „Kunstfeind Nr. 1“ bezeichnet wurde. Das Bild fiel auch nicht der Aktion „Entartete Kunst“ von 1937 zum Opfer. Und Kokoschka musste die Akademie erst 1938 verlassen, nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich. Gab es NS-Kunstpolitiker, die Kokoschka schützten?
Die zentralen Fragen lauten aber: Hinterlegte Anna Caspari die Pfänder bei der Dresdner Bank, aus denen der „Pariser Platz“ stammen soll, vor oder nach 1933? Warum wurden sie nicht eingelöst – etwa, weil Caspari wegen der Bedrängnis durch die Nazis kein Geld mehr hatte? Wie kam die Dresdner Bank dazu, dieses Werk verkaufen zu können? Und wie konnte die Nationalgalerie das Werk erwerben, trotz des damaligen Geldmangels in den Museen und des Odiums der „Entartung“, das an Kokoschka gehängt wurde? Und warum schaut die Preußen-Stiftung das Bild erst jetzt genauer an?
Parzinger trägt die Verantwortung
Es war Parzingers Vorgänger, Klaus-Dieter Lehmann, der in den 1990ern das Gemälde für sein Büro aussuchte. Eine Bemerkung am Rande: Es darf auch die Frage gestellt werden, wieso ein derart herausragendes Werk der öffentlichen Nutzung entzogen wurde. Sollte die Notwendigkeit des von der Stiftung propagierten Neubaus für die Kunst des 20. Jahrhunderts demonstriert werden?
Sei’s drum: Im 2007 erschienenen Jubiläumsband der Stiftung zu ihrem 50. Geburtstag „Phoenix aus der Asche“ widmete Lehmann dem Werk einen Aufsatz, die jetzige Kulturstaatsministerin Monika Grütters nutzte es als Anhaltspunkt einer Festrede.
Oft fanden vor dem Bild Gespräche mit Journalisten statt, ab und zu wurde es für Sonderausstellungen ausgeliehen. Es war sichtbar.
Doch spätestens seit Hermann Parzinger die Sammlungen der Stiftung auf Raubkunst hin durchleuchten lässt, hätte man das Bild im Chefzimmer noch genauer ansehen müssen, allein wegen des Kaufdatums und der Verbindung zur Dresdner Bank. Ein Forschungsprojekt über die intensive Beteiligung der Bank an der Ausplünderung jüdischer Deutscher ist kurz vor dem Abschluss. Von diesen Forschern kam offenbar der Hinweis, sich einmal genauer mit dem „Pariser Platz“ zu beschäftigen. Warum hat die Stiftung das nicht von sich aus getan? Sollte doch zu wenig Personal mit diesem Thema beschäftigt sein?
Ausgerechnet Parzinger der Verheimlichung in Sachen Raubkunst zu bezichtigen, ist absurd. Allerdings hat er immer wieder betont, dass der Präsident vom Stiftungsrat die alleinige Vollmacht erhalten habe, über Rückgaben zu entscheiden. Also trägt Parzinger also solcher auch die volle Verantwortung für die Forschung. Dass nun ausgerechnet ein Bild aus seinem Büro betroffen ist, zeigt die Brisanz des Themas.